MS Harley 1527: Bible moralisée (um 1250)

Teile dieser Bible moralisée aus der Zeit um 1250 werden in der Londoner British Library aufbewahrt, unter der Signatur MS Harley 1527. Es sind genau die Blätter, die auch die Johannesoffenbarung illustrieren. Die übrigen, fehlenden Teile vor allem zum Alten Testament befinden sich in anderen Bibliotheken, in Oxford und in Paris; daher nennt man sie auch Oxford-Paris-London-Bible-moralisée oder Oxford-Paris-London-Edition.
Auf einem Blatt befinden sich sechs Miniaturen, die jeweils in ein Medaillon gesetzt sind. Nicht weniger als neun Medaillons zeigen verschiedene Szenen, die sich in einer Architektur des Neuen Jerusalem abspielen. Es ist aber nicht so, dass diese Bilder in der Reihenfolge wie der Apokalypsetext gelesen werden können oder müssen. Vielmehr sind es Wiederholungen, auch Illustrationen zu bestimmten Versen der Apokalypse, immer wieder unterbrochen oder angereichert mit Illustrationen zu ganz anderen biblischen Büchern, auch aus dem Alten Testament.
Es beginnt (oben) mit fol. 149v (analog zu MS M 240 fol. 3v), wo erstmals dem Johannes die Stadt erscheint, hier schwebend nicht auf, sondern unter dunklen Wolken, die zu regnen scheinen. Der annähernd quadratische Baukörper ist vollständig überzogen mit verwinkelten Toren, Mauerzügen, Zinnen und Dächern in blauer Farbe.

Ausbreiten kann sich die Stadt auf fol. 151v, denn vier von sechs Miniaturen sind hier dem Himmlischen Jerusalem vorbehalten. Auf dreien erscheint jeweils an der linken Seite (der Erzählseite) der Engel und gewährt Johannes verschiedene Einblicke in die Stadt. Einmal sind die Tore der Stadt geschlossen, dann geöffnet und einmal (in dem ersten Medaillon) mit stehenden menschlichen Wesen besetzt.

Die Szenen zum Himmlischen Jerusalem setzten sich mit drei Illustrationen auf fol. 152r fort. Jetzt tritt das Christuslamm auf die Bühne bzw. Bildfläche. Auf der ersten Illustration bringen ihm die Könige Geschenke (in Analogie zu den Geschenken der drei Waisen bei der Geburt Christi), auf den weiteren Illustrationen geht es vor allem um den Lebensbaum mit seinen Früchten, die ewiges Leben ermöglichen.

Ein abschließendes Medaillon zum Himmlischen Jerusalem findet man auf fol. 153v, dem letzten Blatt von MS Harley 1527. Um was geht es? Gezeigt wird, wie aus dem geopferten Lamm Blut strömt. Dieses wird zum Lebensfluss und befruchtet die neue Schöpfung. Eine Besonderheit ist hier, dass sich der Lebensfluss in Form und Farbe an den Regenbogen annähert, der traditionell ein anderes Symbol ist, welches in der Apokalypse mit Christus in Verbindung steht.

Reiner Haussherr: Eine Warnung vor dem Studiern von zivilem und kanonischem Recht in der Bible moralisee, in: Früchmittelalterliche Studien, 9, 1975, S. 390-404.
John Lowden: The making of the Bibles Moralisées, University Park 2000.
John Lowden: The Apocalypse in the Early-Thirteenth-Century Bibles Moralisées: A re-assessment, in: Nigel Morgan (Hrsg.): Prophecy, Apocalypse and the Day of Doom, Proceedings of the 2000 Harlaxton Symposium, Donington 2004, S. 195-217.
Babette Hellemans: La Bible moralisée. Une œuvre à part entière. Création, sémiotique et temporalité au XIIIe siècle, Turnhout 2010. 

 

tags: Bible moralisée, Frankreich, Gotik, Bibelausgabe, Medaillon, Lebensbaum, Lamm
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