Wolf-Dieter Kohler (1928-1985): evangelische Christuskirche in Mitteltal (1965)
So wie hier ist bis 1965 das Himmlische Jerusalem noch niemals dargestellt worden. Die Grundform ist das Oval, allerdings nur ansatzweise, denn seine beiden Enden laufen nicht rund, sondern spitz zu. Vier Tore sind oben gesetzt, sechs unten, an den Seiten, also an den Spitzen, jeweils ein weiteres. Von Tor zu Tor ziehen sich nun Strahlen und strukturieren die Innenfläche, so dass kein Platz für eine weitere Gestaltung im Zentrum bleibt. Die gelbe Färbung lässt sie als Lichtstrahlen deuten, doch auch die Straßen in der Stadt sind mit angedeutet. Nach außen, zumindest bei den unteren Toren, lassen sich diese Strahlen erneut finden. Hier ist ebenfalls an das Licht zu denken, welches die neue Schöpfung erleuchtet bzw. die alte verwandelt. Auch schwingt wieder die Assoziation der Wege mit, die von unten in das Neue Jerusalem führen.
Bei dem Fensterdetail handelt es sich um einen Ausschnitt einer Arbeit von Wolf-Dieter Kohler (1928-1985) zusammen mit Emil Gaisser, der das Fenster in seiner Stuttgarter Werkstatt 1965 herstellte. Es war ein Auftrag für die evangelische Christuskirche in Mitteltal, einem Nebental des Murgtals im Hochschwarzwald.
Es handelt sich um ein Ensemble von drei Chorfenstern im Rahmen einer Generalsanierung der Kirche, wobei sich das Jerusalemfenster in der Mitte befindet. Kohler kannte diese Kirche seit frühen Tagen, als 1945 sein Vater, der Maler Walter Kohler, hier aufgebahrt wurde. Dabei soll der Sohn in dieser Kirche eine Vision (vermutlich von zukünftigen Glaswerken) gehabt haben, wenn er später schreibt: „Als er so still und endgültig dalag in der kleinen Schwarzwaldkirche, sah ich Gläser im Abendlicht glühen“.
Mitte der 1960er Jahre war Kohler von dem Thema der vierundzwanzig Ältesten fasziniert. Diese sind hier unter Jerusalem um Christus gesetzt, ähnlich wie in den Kirchen von Bad Cannstadt und Bernhausen, die zur gleichen Zeit entstanden. Kohler zeigt sie stets mit den Kronen, die die Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt verliehen bekommen. Von der übergroßen, rotfarbenen Christusgestalt zwischen der Stadt oben und den Ältesten unten waren die Gemeindemitglieder angeblich so fasziniert, dass sie 1994 den Namen „Christuskirche“ wählten.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Wolf-Dieter Kohler, 1928-1985. Leben und Werk, Petersberg 2021.