Die evangelische Kirche in Schöneberg bei Ötisheim im Enzkreis besitzt eine der wenigen Waldenserkirchen. In Deutschland sind es kleine Kirchen, von außen und innen bescheiden gestaltet, meist in entlegenen Regionen, nie in der Ortsmitte, sondern immer am einstigen Rand oder sogar außerhalb der Besiedlung. Im Laufe der späteren Jahre kamen in diese schlichten Kirchen doch besondere Kunstwerke, auch die einfache Verglasung wurde inzwischen durch figürliche Arbeiten ersetzt. Die zur Verfügung stehenden Mittel waren gering, so dass man nicht wirklich große Meister beauftragen konnte, sondern junge Talente oder Künstler, die aus dem Kreis der Gemeinde kamen. In Schöneberg beauftragte man einen jungen Glasmaler, den man sich schon wenige Jahre später nicht mehr hätte leisten können: Wolf-Dieter Kohler (1928-1985). Der Maler stand am Anfang seiner Laufbahn und arbeitete hier mit der Glasmanufaktur Emil Gaiser (Stuttgart) zusammen. Seine Ausführung in Schöneberg ist von besonderem Interesse: später brachte er das Bildmotiv „Himmlisches Jerusalem“ so oft auf Glasfenstern zur Darstellung wie weltweit vielleicht kein zweiter Künstler – hier in Schöneberg finden wir 1949 seine erste Darstellung, von der alles seinen Anfang nahm.
Die Stadt erscheint noch recht unscheinbar. Auf dem Chorfenster dominiert ein riesiger Engel in einem roten Gewand. Die goldene Erscheinung über ihm ist nicht, wie es aus dem Kirchenschiff heraus erscheint, ein goldene Krone mit einem Kreuz in der Mitte, sondern dargestellt sind die Tore und Mauern des Himmlischen Jerusalem. Kohler, der hier in der Handschrift aber auch Motivwahl unter Einfluss seines Lehrers Rudolf Yelin stand, zeigt die Stadt noch nicht, wie später fast immer, mit zwölf, sondern mit sieben Toren, wovon das in der Mitte größer hervortritt. Was, darf man fragen, war die Vorlage zu dieser ungewöhnlichen Stadtummauerung? Das Himmlische Jerusalem in der Michaelskirche in Stuttgart-Degerloch (1941). Der Künstler wird es gekannt haben, da es sein Vater Walter Kohler gestaltet hat. Wie dieser wiederum auf die sieben Tore kam, ist eine andere Frage.
Der grimmige Engel, dessen Gesicht Yelin gezeichnet haben könnte, misst nicht etwa das Himmlische Jerusalem mit einem Stab aus, sondern es ist der Heilige Michael, der hier mit einer Lanze den Drachen tötet bzw. das Böse auf tausend Jahre verschließt, in Anlehnung an eine Bildkonzeption Dürers. Die Mitte der Stadt ist noch etwas ungewöhnlich mit einem breiten, rotfarbigen Kreuz markiert, später wechselte Kohler dieses Motiv gegen das Lamm Gottes und vor allem durch den Lebensfluss aus.
Henri-Arnaud-Kirche in Schönenberg. Grußwort zur Feier des 50jährigen Bestehens der Arnaud-Kirche in Schönenberg am 17. September 1933, Pforzheim (1935).
Mathias Köhler: Evangelische Kirchen in Ötisheim, München 1992.
Konrad Dussel: Ötisheim – durch die Geschichte zur Gegenwart, Heidelberg 2007.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Wolf-Dieter Kohler, 1928-1985. Leben und Werk, Petersberg 2021.
Uwe Hauser, Stean Hermann: Auf den Spuren der Waldenser in Deutschland. Schwerpunkt Württemberg und Baden, Karlsruhe 2022.