Getreu dem Motto „jedes Jahr ein Himmlisches Jerusalem“ gestaltete Rudolf Yelin der Jüngere (1902-1991) die Chorfenster der Jakobskirche in Pfalzgrafenweiler. Die Ortschaft am Rande des Schwarzwalds ist evangelisch geprägt, die Jakobskirche datiert zurück in die Anfänge der Reformationszeit, der heutige Bau ist von 1907.
Damals, 1907, hatte Rudolf Yelin der Ältere für die Gemeinde das Monumentalbild „Verklärung Christi“ ausgeführt, seitdem bestand ein loser Kontakt zur Künstlerfamilie Yelin. Der eigentliche Grund, weshalb der Enkel hier tätig wurde, war seine Funktion als „architektonischer Berater“ für die württembergische Landeskirche. Yelin war aber viel mehr als ein Berater, sondern er war an erster Stelle Künstler, was zu einer problembehafteten Interessenkollision führte: Yelin war bei unzählige Kirchenbaumaßnahmen beratend tätig und hat sich dabei selbst als Künstler beauftragt. Nur so erklärt es sich, dass nach 1945 auffällig viele Kirchen mit Yelin-Werken ausgestattet wurden, und dass außer seinen engen Freunden, Saile und Kohler, so gut wie kein anderer Künstler eine Chance auf einen Auftrag hatte.
In Pfalzgrafenweiler ging Yelin als radikaler Purifikator ähnlich vor wie zuvor in Bodelshausen, Althütte, Schwenningen und an vielen anderen Orten: das historisches Ornament wurde übermalt, die alten Glasfenster wurden ausgebaut – leider ist es mir auch nach Recherchen vor Ort nicht gelungen, herauszufinden, welche Motive bzw. die Arbeiten welches Künstlers in der Jakobskirche verloren gingen. Erhalten blieb lediglich das eingangs erwähnte Gemälde im Art déco. Diesen Kunststil lehnte Yelin besonders ab. Das Kunstwerk konnte nur deshalb gerettet werden, da es vom Vater des Künstlers geschaffen worden war.
Über den Winter 1966/67 entstanden die neuen Fenster als Glas-Beton-Mosaike. Yelin steuerte den Entwurf bei, war aber, wie üblich, bei der Umsetzung nicht anwesend, sondern überließ die dies zwei seinen Schülern. Manche sehen in den Fenstern die Trinität versinnbildlicht (Vater links, Sohn mittig, Heiliger Geist rechts). In dieser Lesart wäre das Fenster mit dem Himmlischen Jerusalem rechts dem Heiligen Geist zugehörig, was man bezweifeln darf: die Darstellung des Heiligen Geistes wird meist durch das Pfingstwunder dargestellt, während das Himmlische Jerusalem der Ort von Christus‘ Wiederkehr ist (wie hier oben als Lamm Gottes dargestellt). Was wir hier sehen, ist vielmehr eine Entwicklungsgeschichte durch die Bibel: Moses, Tieropfer, eherne Schlange, dann Passionsgeschichte und Kreuzigung, schließlich Missionsgeschichte und Himmlisches Jerusalem.
Was das Himmlische Jerusalem angeht, ist es vielleicht Yelins abstrakteste Darstellungsweise, die ganz auf die Wirkung des Lichts und der Farben setzt, während die Form zurück tritt.
Ohne das Thema zu kennen, würde man kaum darauf kommen, dass dies die Tore Jerusalems sein sollen. Auch die Zahl Zwölf, die bei Yelin ohnehin eine untergeordnete Rolle spielt, ist hier kein Orientierungspunkt mehr, nach unterschiedlicher Zählung lassen sich auch elf oder dreizehn Tore erkennen. Eine Besonderheit am Rande: so gut wie immer verbindet Yelin das Himmlische Jerusalem mit Christus Pantokrator – nicht in Pfalzgrafenweiler. Hier zeigt er ganz oben das Lamm, mit angedeuteter Siegesfahne, wie Jahre zurückliegend einmal in Feudenheim – vergleicht man beide Malereien, wird nachvollziehbar, wie stark sich Yelin inzwischen von der Figürlichkeit zur Abstraktion entwickelt hat.
Festschrift 100 Jahre Jakobskirche Pfalzgrafenweiler, 1907-2007, Pfalzgrafenweiler 2007.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Rudolf Yelin d. J., 1902-1991. Leben und Werk, Petersberg 2019.