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Totenbuch der Tübinger Stiftskirche: Einträge zu Friderika G. Märklin (1768) und Adam Schöpf (1770)

Totenbücher waren, ähnlich wie die Leichenpredigten, eine Form des Andenkens an das fromme und weltliche Leben für die Hinterbliebenen, auch hatten die Dokumente rechtliche Funktion und wurden im Pfarramt aufbewahrt. Ein besonders schönes Exemplar mit handkolorierten Zeichnungen hat sich aus Tübingen erhalten und befindet sich heute im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart. Zumindest bei zwei dieser Zeichnungen ist die Thematik des Himmlischen Jerusalem aufgenommen worden. Bei dem ersten Beispiel (S. 34) zeigt sich im himmlischen Bereich ein zweiflügeliges Bauwerk, nach oben von einer golden schimmernden Gloriole eingefangen. Nach unten strömen mehrere Flüsse, die alle aus dem einen mittigen Haupttor entspringen. Es sind die Paradiesflüsse, die hier direkt das Paradies befruchten. Dort wird ein kleines Kind im weißen Totengewand von einem Engel direkt in den himmlischen Bereich gehoben: Es ist das Mädchen Friderika Gottlobin Märklin, eine Totgeburt aus dem Jahr 1668. Damit wird auf den Volksglauben angespielt, dass es für Kinder kein Jüngstes Gericht gäbe, sondern sie direkt in den Himmel kämen. Dort rekurriert das Hauptgebäude auf den adeligen Gartenbau mit seinen Pagoden, Wandelhallen und Lustschlössern. Selbst vor dem Bau wird eine typisch adelige Beschäftigung im Freien gezeigt: zwei Personen spielen Federball. Auch wenn hier kein historischer Bau wiedergegeben ist, so ist er mit seinen Säulen, hohen Beletage, den drei symmetrischen Kuppel und der angedeuteten Enfilage ein typischer Vertreter des süddeutschen Rokoko.

Das zweite Beispiel befindet sich auf S. 60. Derjenige, an den hier erinnert wird, ist der Professor der juristischen Fakultät und Akademiemitglied Wolfgang Adam Schöpf (1679-1770). Man sieht den Professor unten rechts, wo ihn ein Engel an der Himmelspforte empfängt. Wenig bescheiden ziert die Pforte das Wappen der Familie Schöpf, obwohl Adam Schöpf schwerlich geglaubt haben dürfte, dass alleinig Mitglieder der Familie Schöpf hier Zugang hätten. Ihm wird der Palmzweig des Märtyrertods überreicht, obwohl im beiliegenden Text nichts darauf hindeutet, dass Schöpf für seinen Glauben gestorben wäre – vielmehr soll der Zweig eine Auszeichnung für sein frommes Leben sein, welches so außerordentlich fromm war, dass er es für den Glauben hingegeben hätte.
Die hier vorliegende Bildkonzeption – Himmelspforte und Tempel – geht auf die niederländischen Zweiwegebilder zurück, erinnert sei hier allein an Gillis Mostaerts „Brede en smalle weg“ (um 1580) oder an Jan Mickers verschiedene Fassungen (um 1640). Bei dieser Bildkonzeption endet das Leben nicht mit Durchschreiten der Pforte, sondern es sind weitere Aufgaben zu bewältigen. Zahlreiche gewundene Stufen müssen erklommen werden, die zu einem grünen Berg führen, wo nochmals gerade Stufen zu einem Monopterus führen, der für das eigentliche Himmlische Jerusalem steht.

Das eigenartige Phänomen, dass mit Durchreiten der Himmelspforte nicht das himmlische Leben beginnt, sondern ein mühsamer Aufstieg, ist theologisch widersinnig, findet sich aber auch bei Ikonen (Konzeption der Leiter des Klimakos), bei zahlreichen Zweiwegebildern und auf Illustrationen zu Pilgrim‘s Progress. Vielleicht liegt ihr die Idee zugrunde, dass sich die Seele noch von Sünde reinigen müsse und Gott so heilig sei, dass man sich ihm nur schrittweise oder stufenweise nähern könne.
An der Illustration des Tübinger Totenbuchs waren außergewöhnlich viele akademische und nichtakademische Maler beteiligt: Andreas Herzog, Johann Michael Herzog, Jakob Daniel Schreiber, Joseph Franz Malcote (1710-1791), August Friedrich Oelenheinz (1745-1804) und Jakob Friedrich Doerr (1750-1788). Welcher davon die Illustration zu Märklin und Schöpf angefertigt hat, ist nicht bekannt, doch es sollte klar geworden sein, dass diese beiden Zeichnungen von gleicher Hand stammen. Es sieht so aus, dass die Verstorbenen eine Beziehung zu dem jeweiligen Auftraggeber hatten und schon bei Lebzeiten das Bild wie auch den Text mit bestimmten, zumindest im Fall von Schöpf, der offensichtlich Wert auf Repräsentation hielt.

Hermann Jantzen: Stiftskirche in Tübingen, Tübingen 1993.

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tags: Landeskirchliche Archiv Württemberg, Totengedenken, Andachtsbuch, Tempel
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