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„Passion Christi und das Leben des Heiligen Basilius“ (1820)

Im Oktober 1820 wurde eine Handschrift fertiggestellt, welche die Passion Christi und das Leben des Heiligen Basilius vereint. Ungewöhnlich genug für diese beiden Themen bietet sie einen ganzen Reigen verschiedener Darstellungen des Himmlischen Jerusalem. Sie sind einfach gearbeitet und beschränken sich damit auf das Wesentliche. Fast alle Miniaturen sind beschmutzt und beschädigt, die Farbe blättert teilweise ab. Wie so oft ist über den Band nichts Genaueres bekannt, außer, dass er seinen Weg in die Russische Staatsbibliothek Moskau gefunden hat. Dort ist er Teil der Sammlung handgeschriebener Bücher von E. E. Egorova (Signatur F.98 Nr. 679).

In den Viten des Basilius wird auf vielen Miniaturen der Lebensweg als Leiter von Tugenden gezeigt, die der Heilige mühsam bewältigt. Am Vorankommen hindern ihn Teufel und unterstützen ihn Engel. Erst fol. 205v zeigt das Ziel der Reise erstmals im Hintergrund. Dort erscheinen fünf Tore des Neuen Jerusalem. Sie sind noch geschlossen und von einer Mauer umgeben. Vor ihnen befindet sich nicht, wie man denken könnte, ein Schutzgraben oder der Fluss des Lebens, sondern die Stadt schwebt auf blauen Wolken.

Die folgende Miniatur fol. 207v setzt die Darstellungsweise der Stadt von der vorherigen Miniatur fort. Sie ist nach unten gerutscht, wo sie von Engeln in der Schwebe gehalten wird. Jetzt jedoch stehen die Tore offen. Das mittlere der fünf Tore ist größer als die übrigen und zusätzlich mit barockem Schmuck verziert. Als einziges ist gerade dieses zentrale Tor nicht offen. Die Hauptperson, der kleine Basilius in Form eines Kleinkindes, hat es bereits in die Stadt vor Christus geschafft.

Eine andere in der Ostkirche oft zu findende Darstellung des Neuen Jerusalem ist die in Form von Arkaden. Man findet sie auf der folgenden Miniatur fol. 210v. Rote Säulen tragen hier zwei Stockwerke. Man kann frontal direkt in die Räumlichkeiten sehen. In allen feiern jeweils zwei Heilige das Ewige Abendmahl. Bemerkenswert sind ihre Gesichter und Gesten, sie scheinen in eifrige Diskussionen verstrickt. Die Arkadenbögen ruhen auf sechs Säulen im Erdgeschoss, in dem Engel gerade Maria in den Himmel aufnehmen.

Fol. 220v wiederholt, was Jerusalem angeht, fol. 205v. Die Stadt ist jedoch in leichten Variationen präsentiert. Jetzt sind nur drei Tore zu sehen, die Position der übrigen zwei Tore wird durch zwei Personen eingenommen. Ihr Gewand hat die gleiche Farbe wie die Tore. Die Mauern dazwischen sind im Zackenstil gehalten, man findet jetzt auch gelbe Verzierungen an ihrer Außenseite. Neu hinzugekommen sind auch Blumen in Übergröße, die an das Paradies erinnern.

Fol. 229v zeigt die bekannte Szene, auf der Johannes von einem Engel die Stadt gezeigt wird, und zwar nicht nur als Himmelspforte, sondern ausgebreitet in ihrer ganzen Schönheit. Bei der Form scheint es sich um ein Oktogon zu handeln. Manche Tore sind von vorne zu sehen, andere auf der gegenüber liegenden Seite von der Stadtinnenseite. Sie sind alle schematisch als gedrungene Rundbögen mit grünen Kuppeln gestaltet. In ihnen bereiten zwei Engel einen Altar für das Abendmahl vor.

Die folgende Miniatur auf fol. 233v ist im Prinzip eine Wiederholung von fol. 229v. Die Stadt hat zum Betrachter nun eine größere Entfernung und ist daher fast im Ganzen zu sehen. Leider fehlt der rechte Abschluss, so dass sich die Form und die Zahl der Tore nicht sicher bestimmen lässt. Auch im Stadtinneren hat sich nicht viel Neues getan. Die Funktion dieser Wiederholung ist vielmehr das Geschehen außerhalb der Stadtmauern: Hier fliegen Knochen von Skeletten umher, die schmerzverzerrten Schädel und die rote Farbe (Feuer) deuten auf nichts Gutes.

Friedlicher, geradezu romantisch oder bukolisch zeigt sich die Stadt auf fol. 259v von innen, ansonsten ist die Komposition ähnlich wie bereits auf fol. 207v. Wieder erscheinen die Blumen, die anscheinend ausschließlich auf den Toren und Mauerkanten wachsen. Neu hinzugekommen sind drei Vögel, die die Szene beleben und ihren friedlich-freundlichen Charakter unterstreichen. Im Prinzip nähert sich die Stadtdarstellung einer Paradiesszene an.

Die Aufnahme von Heiligen in den Himmel ist das Thema von fol. 262v, fol. 266v, fol. 269v, fol. 272v, fol. 274v und schließlich von fol. 277v. Hier kommt es vor allem auf die unterschiedlichen Heiligen an, die Tore im Hintergrund sind lediglich Beiwerk. Erstaunlich ist die Treue des Illustrators zur überwiegend gleichen Darstellungsweise: Rote Türfüllung, grüne Laibung, gelber Türsturz, grüne Fächerkuppel – fertig. Einige dieser Kuppeln durchbrechen den Bildrand und setzen sich nach oben weiter fort.

Erst danach öffnet sich das Neue Jerusalem in einer Gesamtschau: Fol. 316v zeigt Christus Pantokrator im Himmlischen Jerusalem, umgeben von zahlreichen Königen, Königinnen und Engel. Ungewöhnlich ist das isolierte Tor im Vordergrund: Der Form und Farbe nach ist es eines der Stadttore, aber es ist verschlossen und nicht in ein Mauerwerk eingebunden. Das zeigt sich erst hinter dem Vorhang. Dort befindet sich ein separater Raum, das Allerheiligste. Dahinter erheben sich Türme und Mauern Jerusalems und nehmen Bezug auf den isolierten Torturm im Vordergrund.

Fol. 323v wiederholt inhaltlich die Aussage von fol. 210v. Die Gestaltung ist minimal verändert: Im Erdgeschoss sind jetzt auch die Torbauten eingefügt, für die der Illustrator eine besondere Affinität hat. Die Arkaden sind kunstvoller ornamentiert, auch das Meßgerät (vasa sacra) ist realistischer und detailreicher präsentiert. Gleichgeblieben sind die angeregten Unterhaltungen. Man wüsste gerne, was es hier noch zu debattieren gibt, denn eigentlich ist im Neuen Jerusalem allein die ewige Anbetung vorgesehen.

Auch die folgende Miniatur bring Elemente, die wir alle schon kennen. Verändert ist allein die Position der Figuren und Architekturen. Auch findet man wieder den üppigen Bewuchs, der aus den Kuppeln entsprießt. Ausnahme ist die Eingangspforte links unten, durch die das Neue Jerusalem betreten wird. Es sind hier, wie auch bei den übrigen Bauten, noch spätbarocke Formen, die in Russland um 1820 in der Architektur noch verwendet wurden. Über dem Segmentgiebel (der Eingangspforte) sieht man expressive Formen, die zeigen, in welche Extreme der Rokoko sich entwickeln konnte.

Fol. 331v, die vorletzte Miniatur, bringt, nach vielen Wiederholungen jetzt Neues. Unten ist das Neue Jerusalem dargestellt, wie bereits mehrfach zuvor. Zwei der hinteren Tortürme haben spitze Kegeldächer, wie auf keiner der dreihundert Seiten zuvor. Über der Stadt schwebt Christus, umgeben von zwei Heiligen. Sie alle haben Engelsflügel, was für Christus, aber auch Heilige, auf Darstellungen kaum einmal zu finden ist. Es ist nicht auszuschließen, dass der Illustrator hier durcheinander gekommen ist. Über der Stadt wird eine Himmelspforte präsentiert – eine Miniatur zuvor war diese noch unten vor der Stadt. Eigentlich dürfte es über bzw. zeitlich nach dem Erscheinen des Neuen Jerusalem keine weiteren Erscheinungen mehr geben. Vielleicht wird mit dieser Pforte auf das Motiv der aufgesprengten Türflügel angespielt, zumal die beiden Türflügel bei dieser Miniatur auffallend hervorgehoben sind.

Die letzte Miniatur: fol. 341v. Tatsächlich endet der Band, nach vielerlei Präsentationen der gesamten Stadt, mit der gleichen Himmelspforte wie auf der Miniatur zuvor. Darauf deuten die Stufen (zunächst in, jetzt vor der Pforte), dann die auffälligen Türflügel und der barocke Aufsatz über dem Türsturz. Unten (wie auf fol. 229v) findet man erneut Johannes und einen Engel, womit nochmals unterstrichen wird, dass es sich um das Niederschweben des Neuen Jerusalems nach der Johannesoffenbarung handelt.

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tags: Aufgesprengte Türflügel, Arkaden, Ewiges Abendmahl, Spätbarock, Volkskunst, Russische Staatsbibliothek Moskau, Russland
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