Die meisten Handschriften aus Russland zeigen, wenn überhaupt, das Neue Jerusalem auf einer, gelegentlich auch auf zwei Abbildungen. Anders ist es in dieser Apokalypsehandschrift aus dem 18. Jahrhundert. Sie ist heute Teil der Sammlung handgeschriebener Bücher von E. E. Egorova in der Russischen Staatsbibliothek zu Moskau (Signatur F.98 Nr. 669).
Die Ausgabe weist starke Gebrauchsspuren auf, einige Blätter haben sich von der Bindung gelöst oder sind geklebt worden. Bevor die Schrift in die Bibliothek gelangte, wurde sie über Jahrzehnte in der Liturgie genutzt. Das Neue Jerusalem wird in dem Band zunächst in der oberen Hälfte der Miniatur, also im himmlischen Bereich, gezeigt. Der Reigen mit Illustrationen des Himmlischen Jerusalems eröffnet auf fol. 31v, traditionellerweise mit einer Darstellung der sieben Leuchter links, zwischen denen Christus mit einer Posaune die endzeitlichen Ereignisse beginnen lässt. Rechts ist bereits das Neue Jerusalem zu sehen, hinter hohen Mauern und einer noch verschlossenen Pforte.
Wiederum ein traditionelles Motiv sind die aufgesprengten Türflügel, die auf fol. 36v gezeigt werden. Sie sollen dem Betrachter deutlich machen, dass die endzeitlichen Ereignisse, die auf den nächsten Seiten thematisiert werden, nun begonnen haben und der Himmel bereits geöffnet ist. Die Türflügel sind, wie stets bei diesem Bildtypus, symmetrisch gegenüber gestellt und weisen mit schwungvollen Formen auf den Barock hin, wobei gleichzeitig der Eindruck von Flügeln unterstrichen wird. Wie zuvor, sind nochmals die Leuchter und auch Christus ins Bild gesetzt.
Fol. 112v findet sich weiter hinten in der Handschrift. Sie zeigt, ähnlich wie zuvor fol. 36v, Christus auf dem Thron links. Rechts wurde ihm, auch aus kompositorischen Gründen, ein Engel vor der Himmelspforte in Form einer Pagode gegenüber gestellt. Beide Motive wurden, wie auch alle Illustrationen zuvor, durch ein breites, gekräuseltes Wolkenband verbunden. Der Engel trägt einen Abendmahlskelch, Christus das Bibelbuch als die zwei zentrale Merkmale der orthodoxen Liturgie.
Auch fol. 114v und fol. 116v zeigen Himmelspforten, in etwas variierender Form, was der Langeweile entgegen wirkt. In einem Fall sind sogar die Dachschindeln einzeln aufgemalt, was bemerkenswert ist, da F.98 Nr. 669 ansonsten schematisch und überwiegend in Umrissen gearbeitet ist, aber auf zu viel Detailgestaltung verzichtet. So ist auch der größte Teil des Hintergrunds gänzlich ungestaltet belassen.
Die letzten beiden Miniaturen zeigen das Himmlische Jerusalem auf der gesamten Seite. Auf fol. 162v wird auf Darstellungsweisen zurückgegriffen, die schon im 16. Jahrhundert verbreitet waren (so etwa in der 1. Interpretation der Apokalypse aus Moskau, um 1550). Die Stadt wird von Engeln in der Schwebe gehalten. Auffallend sind vor allem die schrägen Stadtmauern, die im Zackenstil polygonal angeordnet sind. Erwähnt werden soll die sorgfältige Darstellung des Mauerwerks auf der Innenseite der Stadtmauer, wo jeder Stein einzeln eingesetzt ist – eher ungewöhnlich für russische Miniaturen, wie auch bereits die Dachschindeln auf westliche Einflüsse hindeuten. Im Zentrum der Stadt ist Maria mit weiteren Heiligen an drei Altartischen versammelt, auf denen das ewige Abendmahl gefeiert wird.
Fol. 166v ist im Prinzip eine Wiederholung von fol. 162v. Der Zackenfries der Mauer ist hier wortwörtlich auf die Spitze getrieben, man sieht ihn an allen vier Seiten der Stadt, jedoch an unterschiedlichen Positionen. An den Seiten scheint der Zackenfries von oben gezeigt zu sein, oben und unten von der Vorder- bzw. Rückseite. Die Stadt wird hier also in einer einzigen Miniatur von oben, von der Seite und gleichzeitig in ihrem Inneren gezeigt. Dort werden neben dem ewigen Abendmahl auch Szenen gezeigt, die im Zusammenhang mit dem Thema selten aufgenommen sind: So etwa wäscht sich eine Gruppe Heiliger im Blut und zieht weiße Gewänder an oder man findet das Schweißtuch der Heiligen Veronika.
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