Rudolf Schäfer (1878-1961): Prachtbibel (1929)

1929 kam eine Prachtbibel („Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments“) auf den Buchmarkt, die mit Illustrationen von dem norddeutschen Kirchenmaler und Illustrator Rudolf Schäfer (1878-1961) ausgestattet wurde. Schäfer sah sich als deutschen lutherischen Künstler, der seine eigentliche Aufgabe in der Unterweisung der Gläubigen durch Bilder verstand. Die Bilder waren für ihn Schriftpredigten in einem anderen Medium als das gesprochene Wort, sollten aber die identische Botschaft haben. In den 1920er Jahren war er unter Lutheranern eine künstlerische Autorität, heute ist man sich in der Bewertung seiner Kunst unsicher. Stilistisch sind die Illustrationen an Holzschnitte der Frühen Neuzeit angelehnt, bringen dann aber überraschend moderne Zutaten, so dass in den 15 Jahren der Herstellung dieser Illustrationen ein ganz eigenständiger Bilderkosmos entstanden ist.
Das Prachtbibel-Projekt geht in seinen Ursprüngen bis auf das Jahr 1914 zurück. Das ambitionierte Vorhaben der sächsischen Hauptbibelgesellschaft konnte jedoch wegen des Kriegs, dann wegen Papiermangels in der Wirtschaftskrise erst nicht umgesetzt werden. Unter Mithilfe der württembergischen Bibelanstalt wurde das umfangreiche, großformatige Werk schließlich in Stuttgart gedruckt. Auf eine ursprünglich vorgesehene Kolorierung hat man aus Kostengründen verzichtet. Die Resonanz war überaus gut, zahlreiche Gemeinden bestellten Ausgaben, in zeitgenössischen Rezensionen liest man nur Positives und es kam zu mehreren Nachdrucken.
Die erste Illustration (S. 1119) ist das Eröffnungsbild zu den letzten drei Prophetenbüchern von Haggai, Sacharja und Maleachi. Im Vordergrund deuten Bausteine und ruinöse Fragmente auf das vergebliche Bestreben der Menschen hin. Im Gegensatz zu den unförmigen Mauerteilen erscheint darüber die harmonische und vollendete Stadt Gottes als Gegenbild und Orientierungspunkt. Sie hat die Form einer gotischen Kathedrale. Ausnahmsweise findet sich in dieser Bibelausgabe zu jeder Illustration eine kurze Beschreibung des Verfassers, zu dieser: „In Trümmern liegt das Alte, nur Ruinen ragen noch, zaghaft erhebt sich das Mauergerüst der Neugründung jüdischen Tempelwesens, aber mächtig und prächtig thront darüber der Bau künftiger Gottesgnade. (…) Sieghaft und verheißungsvoll grüßt hoch oben im Strahl der Morgensonne auf diesem letzten alttestamentlichen Blatt das Kreuz!“ (Bildbeschreibungen, S. 41).

„Die Offenbarung Johannis“ auf S. 371 zeigt ein weiteres Mal die Gottesstadt. Vorbild waren hier die frühneuzeitlichen Bibelillustrationen von Dürer (der im Vorwort explizit auch als Vorbild genannt ist), dann Georg Lemberger und Hans Holbein, unter kleinen Änderungen: Die beiden Personen (Engel und Johannes) stehen hier nicht auf einem Hügel, sondern auf dem Boden vor der Stadt. Schäfer hat der Johannesfigur die Gesichtszüge von Luther verliehen, so gut er es konnte. Eine weitere Zutat von Schäfer ist der Regenbogen – nicht wirklich neu, wenn man an mittelalterliche Miniaturen denkt. Hier jedoch sitzt nicht Christus als Richter auf dem Bogen, sondern er soll (laut Bilderklärung auf S. 60) ein „leuchtender Friedensbogen“ sein. Die Erläuterung führt fort: „Der Anblick vereinigt ungewohnt fremdländische Pracht mit trauter, altväterlicher Bauart, um uns zu zeigen, wie das wunderbare Neue doch die Heimat unserer Seele sei.“ Betrachtet man die Illustration genau, ist jedoch von „fremdländischer Pracht“ nichts zu sehen, die Bauten sind letztlich eine Wiedergabe einer württembergischen Stadt vor 500 Jahren.
Die meisten Illustration sind übrigens mit den Initialen des Künstlers versehen, überwiegend rechts unten:

Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach der deutschen Übersetzung D. Martin Luthers, Stuttgart 1929.
Konrad Mack: Rudolf Schäfer – ein deutscher Maler der Gegenwart, Leipzig 1928.
Martin Stellmann: Rudolf Schäfer, der Mann und sein Werk, Rotenburg (Wümme) 1978.
Renata von Poser: Rudolf Schäfer, Kirchenausstattungen. Religiöse Malerei zwischen Bibelfrömmigkeit und Pathos, Regensburg 1999.

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tags: Prachtbibel, Prophet, Regenbogen, Ruine, Kathedrale, Holzschnitt, Bibelausgabe, Luthertum
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