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Russische Apokalypsehandschrift (18. Jh.)

Bebilderte Handschriften mit dem Apokalypsetext waren eine regelrechte Massenware, zahlreiche Kirchenbibliotheken oder Klöster hatten ihre Ausgaben. Schon aus liturgischen Gründen waren diese Bücher kein Luxus, sondern schlichtweg notwendig und wurden gebraucht. Eines dieser Exemplare aus dem 18. Jahrhundert gelangte in die Sammlung handgeschriebener Bücher von E. E. Egorova in der Russischen Staatsbibliothek zu Moskau. Es hat dort die Signatur F.98 Nr. 668. Es handelt sich bei den Miniaturen dieses Bandes um ausgesprochen hochwertige Arbeiten ohne direkte Vorlagen, sondern mit großer Eigenständigkeit und Originalität. Der oder die Zeichner haben nur ausgewählte Szenen illustriert, darunter viele mit dem Himmlischen Jerusalem. Teilweise wurden die Zeichnungen in Tinte eingebrannt, es gibt an manchen Stellen Löcher in den Blättern und abblätternde Farbe.
Abgesehen vom Frontispiz eröffnet auf fol. 12v die erste Farbillustration gleich mit einer Thematisierung des Himmlischen Jerusalem. Christus erscheint im Himmel (angedeutet mit dem Mond, der Sonne und Sternen dazwischen). Links wie rechts der Figur zeigt sich himmlische Architektur in Form orthodoxer Sakralbauten. Anders als echte Kirchen sind diese Bauten weit geöffnet und lassen in ihr Inneres sehen: dort stehen Altäre, bereit für das Ewige Abendmahl.

Ähnlich ist im Prinzip fol. 230v gehalten, nur befindet sich das Wolkenband nicht unter, sondern neben der Stadt. Es erinnert auch an den blauen Lebensfluss. Die Architektur ist im Vergleich zur vorherigen Illustration anders: Christus ist von einer Stadt umgeben, die vorne drei goldene Tore zeigt. Über der Stadtmauer finden sich interessante Türme in einem Stilgemisch zwischen korinthischen Säulen, gotischen Filialen und russischer Architektur der Frühen Neuzeit.

Wenige Blätter weiter thematisiert fol. 234v den Lebensbaum. Bemerkenswerter Weise findet er sich nicht im, sondern vor dem Neuen Jerusalem. Durch den Bogen der Stadtmauer oben und den Bogen des Hügels unten ist dieser singuläre Baum in einer ovalen Form eingerahmt. Die Stadt darüber ist mit wenigen Strichen angedeutet, weitere Bäume finden sich im Hintergrund oder erscheinen im Tordurchblick rechts.

Die bescheidene Darstellung der Stadt ändert sich einige Blätter weiter auf fol. 237v hin zu einer ausgereiften Vedute, erneut über einen Bogen gesetzt. Unten steht Johannes und wird von einem roten Pfeil symbolisch durchstochen. Damit soll seine Durchdringung von der göttlichen Vision oder Liebe angezeigt sein. Die Stadt besitzt mehrere übereinander gesetzte Mauern. Anders als noch auf der ersten Illustration (fol. 12v) ist inzwischen Leben eingezogen, zahlreiche Bewohner und Bewohnerinnen feiern das Ewige Abendmahl, dessen Darstellung in der Ostkirche fest zum apokalyptischen Bildprogramm gehört. Die Stadt umfängt ihre Einwohner von allen Seiten, die Mannigfaltigkeit der Darstellung ohne irgendwelche barocken Stilanklänge deutet eher auf eine Stadt der Frühen Neuzeit, gleichsam ist dieses Miniatur wie auch die anderen hier vorgestellten im 18. Jahrhundert geschaffen worden.

Auf dem darauf folgenden Blatt fol. 246v ist die Zeichnung noch am ehesten als Himmlisches Jerusalem kenntlich gemacht, durch die einheitliche Mauer, die drei Tore an einer Seite, die Wächterengel in den drei Toren und natürlich durch den Lebensfluss. Er fließt aus der Stadt, um die Schöpfung unten (die es eigentlich gar nicht mehr gibt) zu befruchten.

Fol. 250v zeigt nochmals, wie fol. 230v, den aufgeprengten Himmel, hier im Form einer Pforte, deren Flügel nach links und rechts gezogen sind. Zu sehen sind somit die aufgeklappten Innenseiten. Wie üblich, sind sie mit einem goldbraunem Beschlagwerk verziert. Durch die offene Pforte blickt man auf Christus im Thron, umgeben von zahlreichen Adornaten, den vier apokalyptischen Wesen sowie Engeln.

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tags: Apokalypsehandschrift, Russland, Russische Staatsbibliothek Moskau
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