Vincenz Pieper (1903-1983): Glaswand in St. Michael in Oerlinghausen (1961)

St. Michael ist eine der größten Vertriebenenkirchen Deutschlands, die man 1954/55 im ostwestfälischen Oerlinghausen bei Bielefeld im Kreis Lippe errichtete. Noch heute ist die römisch-katholische Pfarrkirche mit zwei Filialkirchen für ein 70 Quadratkilometer großes Gemeindegebiet zuständig. Für die monumentale Gestaltung des Hauptfensters zur Straße hin gewann man Vincenz Pieper (1903-1983). Das war 1961, also sechs Jahre nach Erbauung der Kirche. Was sich zuvor in der Fensterrahmung befunden hat, ist nicht bekannt.
Vincenz Pieper gehörte zu den bedeutendsten und gefragten Sakralkünstlern der Nachkriegszeit. Damals hatte der Meister gerade die Frontwand von St. Elisabeth in Bottrop fertigstellen können, die, wie hier, ebenfalls das Neue Jerusalem zum Thema hat. Piepers Arbeiten, oftmals in Betonglas, waren vor allem in Fachkreisen geschätzt; Gläubige vor Ort hingegen hatten und haben mit seinen Werken mitunter Schwierigkeiten. Piepers Fenstergestaltung in klaren Formen ohne viel Beiwerk wurde damals zwar durchaus gefeiert; eine Generation später hat man jedoch in Oerlinghausen Pieper-Fenster im Altarbereich durch ein offenes Kreuz ausgetauscht – die Arbeiten des Künstlers sprechen die Besucher und Besucherinnen heute nicht mehr an. Die Monumentalwand, so geht es aus einer schriftlichen Mitteilung von 2012 hervor, überlebte nur deshalb, weil der Ausbau in der derzeitigen Krise des Katholizismus in Deutschland nicht zu finanzieren ist.

Von außen sieht die Fensterwand einheitlich geschlossen aus. Die fünf Bahnen ergeben selbst ein gewaltiges Rundbogentor. Innen ist das Fenster thematisch wie auch baulich zweigeteilt: Das untere Drittel verweist links mit einem durchstochenen Herz in der Dornenkrone auf dramatische Weise auf das Leiden Christi, rechts wird ein stehender Engel gezeigt. Diese beiden Motive erhellen einen kleinen Vorraum (früher Paradies genannt), der heute auch Werktags zum Gebet oder zur Andacht zugänglich ist. Das eigentliche Hauptfenster ist gewöhnlich nur zu Gottesdienstzeiten zu sehen. Allerdings befindet es sich auf der Rückseite und wird von dem Besuchern, wenn überhaupt, ausschließlich beim Verlassen der Kirche wahrgenommen. Eine Verbindung beider Teile stellt das Hintergrundmuster dar: Schwarze Waben, wie man sie vor allem in den 1960er Jahren liebte, vgl. Heilig Geist in Dortmund, St. Leodegar in Gammertingen oder St. Marien in Radevormwald.

In der Mitte erkennt auch das ungeübte Auge das Lamm Gottes. Mit einer Pfote verweist es auf einen Abendmahlkelch. Das Tier ist nach unten von gelben und weißen Blöcken umgeben, die vermutlich die Tore der Stadt darstellen sollen. Dazwischen kann man, mit etwas Vorwissen, noch einen Adler, einen Stier, einen Löwen und ein menschliches Gesicht erkennen. Es sind vermutlich die vier apokalyptischen Wesen, die als Evangelisten gedeutet werden. Wirklich klar ist die Zuordnung ebenso wenig wie die Zahl der Tore, es soll auch gar nichts klar sein, sondern nach dem Bestreben des Künstlers sollte vielmehr das Übermenschliche, das Numinose und Geheimnisvolle seinen Ausdruck finden. 

St. Michael Oerlinghausen: 1941-1991, hrsg. von der katholische Kirchengemeinde St. Michael Oerlinghausen, Paderborn 1991.
Falko Biermann: Spurensuche – Erneuerung in St. Michael, Oerlinghausen, in: Alte und neue Kunst, 49, 2016, S. 165-168.

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tags: Ostwestfalen, NRW, Vincenz Pieper, Beton, Evangelisten, Dornenkrone, Herz
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