Rudolf Yelin (1902-1991) war ein Glaskünstler und Bildhauer, der in den 1950er und 1960er Jahren vor allem zahlreiche evangelische Kirchen in Baden-Württemberg mit Fenstern ausstattete. Daher ist die hier vorgestellte Arbeit in zweifacher Hinsicht eine Ausnahme: Erstens handelt es sich bei dem Werk einmal nicht um ein Glasfenster, sondern um einen Wandteppich. Zweitens hat hier Yelin für eine Kirche außerhalb von Baden-Württemberg gearbeitet, nämlich für das oberfränkische Bayreuth. Dort hatte man unter dem Architekten Karl Pfeiffer-Haardt (1902-1957) eine neue Kirche erbaut, deren drei markante Kirchtürme bis heute das Stadtbild von Bayreuth mit prägen. Der Wandteppich kam im Jahr 1966 zum Erntedankfest in die Kirche und fand direkt über dem Altar seinen Platz. Er wurde aus drei Teilen von Hildegard Weller, einer Schülerin Yelins, in Stuttgart gewebt und zusammen gesetzt. Dieses wurde in nur fünf Monaten geleistet, so dass er noch zu Jahresbeginn 1966 für zwei Wochen in der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ausgestellt werden konnte. Unten rechts ist der Teppich mit „RY66“ signiert und datiert. Zurück gehen erste Entwürfe aber bis 1958, mit denen Yelin an einem Wettbewerb teilgenommen hatte. Für diese Zeit ist er wieder überaus modern.
Im Zentrum sitzt der auferstandene Christus als Richter auf einem Regenbogen. Viele Besucher irritiert es heute, dass ihm, ähnlich wie nur noch in der Stadtkirche von Schwenningen, das Gesicht fehlt. Dies hat der Künstler nicht etwa vergessen, sondern er wollte bewusst darauf verweisen, dass man sich von Gott keine zu genaue Vorstellung machen sollte, schon gar keine vermenschlichten. Die öfters zu lesende Erklärung, dass sich jeder Gläubige ein eigenes Gesichts-Bild machen sollte, ist eine individualistisch-moderne Herangehensweise und entspricht nicht der Intention Yelins. Die Gesichtslosigkeit war damals ein ausdrücklicher Wunsch der Gemeinde, ansonsten zeigte Yelin bei anderen Werken bei Christus so gut wie immer die Gesichtszüge, etwa in der Bergkirche in Wimberg.
Unter der Christusfigur sind zahlreiche Häuser zusammengebrochen, ähnlich wie auf einem Fenster der Stuttgart Hospitalkirche von 1959, welches Yelin gut kannte, da auch er für die dortigen Fenster in die nähere Auswahl gekommen war. Hier stehen sie für das Ende der alten Schöpfung. Sie türmen sich zu zwei Schuttbergen. Die Zweiteilung wird im oberen Bereich wiederholt. Zu den Seiten der Christusfigur finden sich jeweils sechs Tore des Neuen Jerusalem. Sie sind eng aneinandergesetzt, überdecken sich teilweise und lassen keinen Raum für eine Stadtmauer. Es sind rechteckige Blöcke in grauer Farbe, ohne jeden Schmuck oder Ornament.
Die Grundmotive (Christus, Evangelistensymbole, Tore, zerstörte Stadt, Trinitätssymbol) sind den Fenstern Yelins durchaus ähnlich. Wenn dort die Tore zu sehen sind, setzt Yelin sie üblicherweise über die Christusfigur, nicht neben diese. Die Tore neben Christus kennt man von Kunstwerken der Ostkirche, etwa Ikonen, wo das offene himmlische Jerusalem durch aufgesprengte Türflügel rechts und links des richtenden Christus Tradition haben.
Stephan Schmidt: Begegnung Christuskirche Bayreuth, Bayreuth 2006.
Christa Birkenmaier: Rudolf Yelin d. J. 1902-1991. Leben und Werk, Petersberg 2019.
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