Die Sigwardskirche in Idensen bei der Stadt Wunstorf wurde um 1130 farbig ausgemalt. Zur Zeit ihrer Entstehung im 12. Jahrhundert gehörte die Kirche zu den bedeutenden Sakralbauten Niedersachsens. Sie wurde den 11.000 Jungfrauen gewidmet: Die christliche Königstochter Ursula sollte den Heiden Aetherius heiraten, Sohn des Königs von England. Sie willigte unter Bedingungen ein: Aetherius muss zum Christentum übertreten, eine Schar von 11.000 Jungfrauen soll zusammengestellt und eine gemeinsame Wallfahrt nach Rom unternommen werden. Dies geschah, doch in Köln wurden laut der Legende alle Pilgerinnen von den dortigen Heiden getötet.
Es macht Sinn, in einer den Märtyrern geweihten Kirche das Himmlische Jerusalem darzustellen. Heute ist es die älteste erhaltene Wandmalerei dieses Motivs im gesamten deutschen Sprach- und Kulturraum, noch vor St. Maria und St. Clemens in Schwarzrheindorf. Man findet sie im nördlichen Kapellenraum. Im oberen Teil ist in einer Apsiskalotte Petrus als „himmlischer Burgvogt“ dargestellt, der demonstrativ den Schlüssel zum Zugang in die Gottesstadt in seiner linken Hand hält. Darunter sind zwischen einem Fenster an beiden Seiten der 312 x 163 Zentimeter ausmachenden Laibung sechs Türme und Mauern des Himmlischen Jerusalem zu sehen. Noch gut zu erkennen ist die Quaderung des Mauerwerks und der bläuliche Hintergrund. Die Türme sind vielgestaltig ausgeführt, man findet Zelttürme ebenso wie Zwiebeltürme oder Wehrtürme mit Zinnenabschluss. Warum wurden nur sechs Türme dargestellt, und nicht zwölf? Es gibt verschiedene Antworten und Möglichkeiten:
-Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass bei der Ausmalung gebildete Theologen am Werke waren, sondern einfache Handwerker, die in ihren Leben mitunter noch nie eine Abbildung der Gottesstadt gesehen hatten. Es ist durchaus möglich, dass das Aufmalen der restlichen sechs Türme an einer anderen Fensterlaibung schlicht vergessen wurde.
-Von Anbeginn an waren sechs Türme vorgesehen. Das Himmlische Jerusalem ist nach christlicher Lehre eine jenseitige Angelegenheit, im Diesseits kann man lediglich Halbheiten oder Fragmente der Stadt erahnen.
-In einem gegenüber liegenden Fenster im südlichen Kapellenraum sind Köpfe von Heiligen dargestellt. Mit diesem steht die Architektur in einem inneren Zusammenhang, da somit die Märtyrer im Neuen Jerusalem gezeigt waren.
-Die gesuchten sechs Türme waren im 12. Jahrhundert durchaus noch vorhanden, gingen später aber durch Umbau/Übermalung verloren.
Um 1500 wurden die aus der Mode gekommenen romanischen Kalk-Secco-Malereien übertüncht. Die Kirche verkam zur Ruine, der Abriss stand zeitweise unmittelbar bevor. 1858 entdeckte man die romanischen Malereien, eine Freilegung kam jedoch zunächst nicht zustande. Erst 1930 begannen die Renovierungsarbeiten der damals immer noch baufälligen Kirche. Das Dach musste gesichert werden, die Wände trockengelegt und Fenster rekonstruiert werden. Anlässlich dieser Maßnahmen wurden auch die Malereien freigelegt und teilweise ergänzt. Heute kann man von den ursprünglichen Motiven und den Farben wieder erstaunlich viel sehen, auch Dank umsichtiger Restaurierung durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und durch die Pflege eines engagierten Vereins vor Ort.
Ruth Ehmke: Der Freskenzyklus in Idensen, Bremen 1958.
Hans J. Böker: Idensen. Architektur und Ausmalungsprogramm einer romanischen Hofkapelle, Berlin 1995.
Idensen Stadt Wunstorf, in: Sigrid Kupetz: 900 Jahre Wandmalereien, Gewölbemalereien und Brüstungsmalereien in deutschen Kirchen und Klöstern, Bad Karlshafen 2008, S. 298-305.
Hans-Jürgen Günther: SigwardsKirche (sic!) in Idensen. Eine romanische Kirche im Tal der Westaue. Bau- und Kulturgeschichte einer bischöflichen Hof-, Eigen- und Grabeskirche, Wunstorf 2010.
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