Heinrich Ludwig Schröer: Stiftskirche in Bücken (1867)

Die Stiftskirche St. Materniani et St. Nicolai in Bücken, auch als „Bücker Dom“ bezeichnet, ist eine romanische Basilika aus dem 12. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert, mit steigendem Wohlstand und künstlerisch gewachsenem Anspruch, wollte man die Kirche innen ausmalen, wofür man in den 1860er Jahren den damals bekannten Kölner Maler Michael Welter (1808-1892) vorgesehen hatte. Welter vermittelte den Auftrag jedoch an seinen Kölner Kollegen und Schüler Heinrich Ludwig Schröer weiter, der dann das Chor-, das Querschiff und das Langhaus einheitlich im Historismus zu einem bedeutenden Denkmal dieses Stils ausmalte. Die 1867 entstandenen Malereien wurden nach hundert Jahren zwischen 1966 und 1970 unter Anleitung der Denkmalbehörde gesäubert, rekonstruiert und restauriert. Das Gesamtkonzept des Neuen Jerusalem in Bücken ist kompliziert und eigentlich nur durch einen Besuch als Raumerlebnis zu erfahren. An den Wänden hat es Schröer an verschiedenen Stellen sichtbar gemacht. Betritt man die Kirche, fällt der Blick auf die Malereien rechts vom Altar mit verschiedenen biblischen Szenen als Wandfresko. Eines der Felder zeigt Johannes auf Patmos, wie er das Himmlische Jerusalem erblickt. Dieses erscheint in einem Tondo als runde Stadt. Die Illustration ähnelt sehr manchen Miniaturen zur Spiegelvision des Guillaume de Digulleville aus dem Spätmittelalter, Schröer muss einige dieser Werke gekannt haben. Eine andere Vorlage könnte die Malerei in Kloster Wienhausen abgegeben haben, bei welcher das Neue Jerusalem ja ebenfalls in einem Tondo präsentiert wird.

Die gleiche Wand, die dieses Detail zeigt, besitzt an ihrem oberen Abschluss noch eine Malerei mit neoromanischen Türmen und Toren, die in ihrer Gesamtheit mit den anderen Wandmalereien das Himmlische Jerusalem versinnbildlichen und sich um den gesamten Altarbereich ziehen. Über dieser Architektur erheben sich nun nicht etwa Wolken oder das Firmament, sondern die gleichen Illusionsmauern setzten sich nach oben fort, aus denen schon die Bauten bestehen. Im unteren Teil der Wand findet man erneut aufgemalte Himmelsarchitektur. Sie ziert die Fläche über den drei blauen Bögen. Das Prinzip ist gleich, die Malerei nur kleiner: Neoromanische Bauten reihen sich aneinander, die gleiche Mauerstruktur, die bei den Bauten noch rot ist, setzt sich in Blau über den Bauten fort.

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Die Südwand ist ähnlich gestaltet, allein die drei Bildfelder zeigen hier andere biblische Szenen als auf der Nordwand, überwiegend übrigens Szenen aus dem Alten Testament. Die gemalte Architektur ist in Größe, Form und Farbe identisch und mit der gegenüberliegenden Wand symmetrisch. Die Bauteile wurden mit Hilfe einer Schablone gezeichnet und anschließend koloriert, wir werden diese Technik in der Kirche später nochmals finden.

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Geht der Besucher durch den Chor, steht er vor dem Hauptaltar. Dieser zeigt über den mittelalterlichen Fenstern eine Fortsetzung der Architekturmalerei. Die Fenster gehen in einen gemalten Dreiecksgiebel über. In die Zwickel zwischen den Fenstern wurden die Türme der Stadt gesetzt. Dabei ist ein Teil der Malerei üblicherweise für den Besucher durch den gotischen Schnitzaltar verdeckt. Die rechte Aufnahme zeigt einen seltenen Blick in die Halbkuppel mit vollständiger Sicht auf die Malerei. Die Mauerzüge reichen hier nicht bis an den oberen Abschluss, sondern Schröer hat hier ein Firmament aufgemalt, mit Christus in einer Mandorla, umgeben von Mond und Sonne, wie es bereits auf vielen mittelalterlichen Darstellungen zu finden ist.

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Verlässt man den Altarbereich, setzt sich die Jerusalemsmalerei noch an den Wänden des Chors fort. An der Nordwand erscheint nochmals Christus auf einem Regenbogen, assistiert von zwei Engeln, die mit Trompeten zum Jüngsten Gericht rufen. Wie im Altarbereich ist dem Rundbogenfenster ein Dreiecksgiebel aufgesetzt, an dessen Seiten sich jeweils drei Türme über einer Stadtmauer entlang ziehen.

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Die Chorwand der Südseite wiederholt dieses Prinzip. Zum dritten Mal findet man in der Halbkuppel einen Christus, der diesmal von einer Paradieslandschaft umgeben ist. Links stehen Adam und Eva, rechts der Baum der Erkenntnis mit der Schlange. Die Darstellung der Architektur entspricht auch hier der gegenüber liegenden Ausmalung.

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Im Altarbereich, unter den bereits erwähnten drei Arkaden, hat Schröer mittels einer Schablone einen schwarz-roten Wandfries aufgesetzt. Es handelt sich um ein spätantikes Motiv, welches man auf römischen Mosaiken finden kann. Es zeigt Hirsche, die sich an einem Hügel versammeln. Dieser Hügel steht für den Zionsberg. Auf diesem wird sonst die Stadt Jerusalem gezeigt. Hier bleibt das Plateau unbebaut, vielleicht, weil ja die Stadt auf den Wänden darüber ausführlich zur Darstellung kam. Man findet auf dem Wandfries aber den Lebensfluss, der aus der Stadt strömt und hier zu einer symmetrischen Schmuckgirlande wird.

Hans-Joachim Kunst: Neoromantik als denkmalpflegerisches Problem. Die Stiftskirche in Bücken, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, 28, 1970, S. 79-88.
1100 Jahre Bücken (882-1982), o.O. 1982.
Hans-Herbert Möller: Die Stiftskirche in Bücken, München 1986.

 

tags: Historismus, Neoromanik, NRW, Tondo, Altarwand, Christus, Paradies, Schablone, Zionsberg, Hirsch, Lebensfluss
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