Diese Weltgerichtsikone der Sammlung Mikhail de Boire (Yelizavetin) stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Entstanden ist sie in der Oblast Vladimir nordöstlich von Moskau. Auf der feinen Malerei auf Temperabasis sind mehrere kompositorische Stilelemente vereint: Die Arkaden, in denen Heilige versammelt sind, kennt man bereits von den ersten erhaltenen Weltgerichtsikonen der Frühen Neuzeit. Die Hereinnahme des Patriarchenkreuzes in eine größere, zentrale Hauptarkade geht auf eine Ikone der Auferstehungskirche/Grabeskirche (um 1600) zurück. Die beiden Himmelspforten im unteren Bereich, mit jeweils einem Engel besetzt, sind dagegen von Ikonen mit der Darstellung der Himmelfahrt Mariens entliehen. Zwischen ihnen ist ein Stück Wand gesetzt, das die Stadtmauer Jerusalems repräsentiert. An der linken Randseite werden Gerettete von Engeln nach oben gebracht, was man von vielen älteren Werken her kennt (Typus Fahrstuhlikone).
Natalʹja I. Komaško: Russkie ikony v sobranii Michaila de Buara (Elizavetina): Katalog vystavki, Gosudarstvennyj Muzej-Zapovednik ‚Caricyno‘ (ijunʹ 2008-ijulʹ 2009), Moskva 2009.
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Die vorherige Konzeption findet sich auf mindestens einer weiteren Ikone; lediglich die Farbe wurde geändert: Statt einem Grau wurde die Architektur in ein tiefes Rot getaucht. Das Kunstwerk stammt aus dem 19. Jahrhundert, wurde mit Tempera gemalt und ist lediglich 53 x 45 Zentimeter klein. Es stand vermutlich einst auf einem Altar, möglicherweise im privaten Bereich. Links oben ist das Himmlische Jerusalem zu finden: Auf dem Ausschnitt sind auch hier zwei Himmelspforten zu sehen, die beide für Heilige weit geöffnet sind. Bemerkenswert sind die reichlich ornamentierten Türflügel dieser Pforten. Einige Heilige sind bereits angekommen und feiern in den zwei unteren der acht Arkaden das ewige Abendmahl.
Viele Ikonen wurden übrigens von etwa 1990 bis 2020 in Englands Auktionshäusern gehandelt. Auch diese russische Weltgerichtsikone war davon betroffen; sie stand 2018 in London zum Verkauf an.