Aus einem Miniatur-Himmlischen-Jerusalem blickt eine Figur mit einem Kreuznimbus, vermutlich Christus. Sein Kopf scheint über den Torzinnen nach außen zu sehen. Die Stadt ist durch zwei sich verjüngende blau-rote Türme eingegrenzt, ansonsten ist von ihr aufgrund des engen Raums nicht viel zu sehen. Sie macht mit hohen Mauern und extrem schmalen, hohen Fensterschlitzen einen kompakten, eher abweisenden Eindruck, auch die Gesichtszüge der Person wirken nicht gerade einladend. Im oberen Bereich durchstoßen die Turmspitzen sogar den Buchstaben „O“, den diese Illustration ziert. Der Hintergrund ist uneinheitlich: Links wurde noch eine Segmentfläche vergoldet, ansonsten zeigt sich eine blaue Grundierung, die mit weißen Mustern bemalt wurde, wie es Mitte des 14. Jahrhunderts üblich war.
Die Initiale ist dem zweibändigen Werk „Omne bonum“ der Londoner British Library (Royal MS 6 E VI) entnommen, einer enzyklopädischen Ansammlung allerlei Wissens und Halbwissens des 14. Jahrhunderts. Dort findet sich der Buchstabe „O“ unter 109 weiteren tintengezeichneten Miniaturen und unzähligen farbigen Initialen, an deren Herstellung mindestens zwei im Stil unterscheidbare Illustratoren beteiligt waren. Diese Miniatur findet sich auf fol. 270v, auf welcher inhaltlich die Gottesstadt vorgestellt wird.
Verfasst und auch niedergeschrieben wurde das lateinische Werk in England von James le Palmer (vor 1327-1375), der es noch kurz vor seinem Tode abschließen konnte. Palmer war Geistlicher und seine Mitarbeit ist auch bei anderen hochwertigen Manuskripten gesichert.
George F. Warner, Julius P. Gilson: Catalogue of western manuscripts in the Old Royal and King’s Collections, 1, London 1921.
Lucy Freeman Sandler: Face to face with God. A pictorial image of the beatific vision, in: William M. Ormrod: England in the fourteenth century. Proceedings of the 1985 Harlaxton Symposium, Suffolk 1986, S. 224-235.
Lucy Freeman Sandler: Omne bonum. A fourteenth-century encyclopedia of universal knowledge, London 1996.
Lucy F. Sandler: Omne bonum, in: Linda Brownrigg (Hrsg.): Medieval book production, Oxford 1998, S. 183-200.