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Georg Meistermann (1911-1990): Chorfenster der Matthiaskirche in Bad Sobernheim (1964) und der Kirche St. Moritz in Augsburg (1965)

Georg Meistermanns (1911-1990) Interpretation des Himmlischen Jerusalem in der evangelischen Matthiaskirche in Bad Sobernheim (Rheinland-Pfalz) wurde im Jahr 1964 fertiggestellt, zusammen mit anderen Fenstern zu weiteren biblischen Motiven in der Kirche. Es handelt sich bei der Jerusalems-Darstellung um eine raumfüllende Konzeption im Chorbereich der im Kern mittelalterlichen Stadtkirche. Laut Meistermann sind es sechs Fenster, die zusammen genommen den Eindruck des Himmlischen Jerusalem erzeugen (sollen). Es ist also nicht ein einzelnes Fenster, welches den Gegenstand figürlich, etwa durch Edelsteine oder Bauten, abbildet, sondern es ist der visuelle und atmosphärische Raumeindruck, der das Neue Jerusalem erstehen lässt. Von daher kann eine fotografische Wiedergabe nur eine Notlösung bleiben, die dem Interessierten ein ungefähres Bild gibt. Sie kann den Besuch und die Wirkung der Originalstätte nicht oder nur annähernd ersetzen.
Im Chorbereich finden sich nicht figürliche und auch nicht gegenständliche fünf Glasmosaike in weißen Scheiben, die durch Farbkonzentrationen strukturiert sind. Diese Lösung ist ähnlich wie in St. Moritz in Augsburg, an der Meistermann etwa zur gleichen Zeit arbeitete (fertiggestellt 1965, s.u.). Das Fenster links außen zeigt hervorgehoben das Neue Jerusalem, nämlich als Farbkonzentration in unterschiedlichen Orange-, Gelb- und Rottönen auf dem unteren Drittel der Fensterbahn. Dieser Farbton ist ganz oben, im spätgotischen Maßwerk, nochmals aufgenommen. An anderer Stelle sind es weiße Kreise, die an die Perlen der Stadt erinnern, oder Schichten von farbigem Glas, welche an Edelsteine anlehnen. Wer sich mit der Kunstauffassung Meistermanns wissenschaftlich beschäftigt, weiß, dass der Künstler bewusst Mehrdeutigkeit und Variationsbreite in seinen Werken willkommen hieß.

Auf eine weitere Besonderheit in Bad Sobernheim soll noch hingewiesen werden. Üblicherweise sind Jerusalems-Darstellungen auf den Chorbereich begrenzt. In der Matthiaskirche gibt es ein weiteres, sechstes Fenster, welches inhaltlich zu der Chorgestaltung dazu gehört. Es hat jedoch eine andere Größe und andere Position. Man findet es als einzelnes Oberlichtfenster an der linken Wandseite des Kirchenschiffs. Hier klingt im farbigen Glasmosaik das Motiv des Regenbogens an; unten befinden sich noch Köpfe von Menschen, die wie wir die Lichterscheinung beobachten und bestaunen dürfen.

Evangelische Kirchengemeinde (Hrsg.): 1000 Jahre Matthiaskirche zu Sobernheim, Düsseldorf 2002.
Joachim Glatz: Die evangelische Matthiaskirche in Bad Sobernheim, München 2003.
Liane Wilhelmus: Georg Meistermann. Das glasmalerische Werk, Petersberg 2014.

 

Meistermanns Interpretationen aus der Matthiaskirche von Bad Sobernheim sind vor allem deshalb wichtig geworden, weil eine ganz ähnliche Arbeit des Meisters inzwischen mutwillig zerstört wurde. Es handelt sich um ein Fensterensemble aus der römisch-katholischen Kirche St. Moritz in Augsburg. Meistermann hat parallel an beiden Werken gearbeitet, das letztere wurde 1965 vollendet. Auch hier waren es im halbrunden Chorbereich fünf Fenster (fünf Bahnen mit darüber gesetzten Oculifenstern), freilich in einer anderen Anordnung. Es handelte sich um Farbeinsprengsel in ansonsten weißgrauen Scheiben, die horizontale und vertikale Reihungen aufwiesen, wie sie charakteristisch für viele Werke Meistermanns sind. Wieder wurde eine überwiegend abstrakte Formensprache gewählt, die gut zu der nüchternen Chorwand der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Barockkirche passte. Jedenfalls hat der Einbau 1964/65 viel Zustimmung erfahren, zu Lebzeiten Meistermanns gab es aus den Kreisen der Ortsgemeinde, von Denkmalpflegern oder Kunstbeauftragten der Kirche nur Lob in den höchsten Tönen, ein Beispiel von vielen aus einer Architekturfachzeitschrift 1966: „Meistermann setzt Maßstäbe, hinter St. Moritz kann keine Glasgestaltung mehr zurück. Es ist gelungen (…), liturgische wie auch künstlerische Ansprüche zu vereinen. (..). Sankt Moritz hat endlich wieder ein Gesicht bekommen, die Farben und Formen verleihen dem Bau Lebendigkeit und sprechen Besucher diskret, aber überzeugend an“.
Sobald Meistermann verstarb, wollte man von der (angeblichen?) Qualität nichts mehr wissen. Der Bau habe verrußte Wände, er sei durch „Materialvielfalt“ (!) verunstaltet und er sei zu „dunkel“ – das übliche Argument eines jeden Einbaus neuer Fenster. Die insgesamt zehn Meistermann-Buntglasfenster wurden daher Ende 2010 komplett herausgerissen und eingelagert – da Meistermann sie auf die Maße und Proportionen von St. Moritz entworfen hat, verbietet sich ein Einbau anderswo. Eine bautechnische Notwendigkeit zu dieser radikalen Maßnahme war nicht vorhanden, sondern man hatte beschlossen, die Kirche zu einer neu geschaffenen „City-Pastoral“ zu machen. Das hatte zur Folge, dass Geld so gut wie keine Rolle spielte, auch Fragen der Nachhaltigkeit oder Ressourcenschonung, die in Predigten gerne hochgehalten werden, fanden bei der Innenausgestaltung keine Berücksichtigung.
Statt Farben und Formen will die Neugestaltung des britischen Designers John Pawson bewusst mit dem Nichts schockieren, sein Motto ist tatsächlich: „Alles, was man nicht braucht, muss entfernt werden“ – ketzerisch mag man da zurückfragen, ob man die katholischen Kirchen, die in Deutschland derzeit reihenweise abgerissen oder profaniert werden, eigentlich noch braucht?
Bereits beim Betreten des neugestalteten Baus fühlte ich mich sogleich an das Colosseo quadrato, den Leitbau des italienischen Faschismus, erinnert. Vor allem der Verzicht auf Ornament und die massive, bis brutale Hervorhebung des geometrischen Baukörpers sind äußere Merkmale dieses Architekturstils, des weiteren:
-Verzicht auf Farbe, überwiegend Weiß oder Schwarz strukturieren die Baukörper
-Verzicht auf Fröhlichkeit, alles soll ernst, düster, erhaben erscheinen
-Kalkstein, kahle Wände mit einer Tendenz zur Vertikalen, zum Monumentalismus und Neoklassizismus, was den den Betrachter klein bis hilflos zurücklässt
-Hervorhebung der Achsen, hier der Ost-West-Achse
-Ablehnung der zuvor dagewesenen Kunst und Architekturstile: Faschismus will nur sich selbst dulden, alle Spuren von Vergangenheit werden vernichtet, zugunsten einer (falschen) Zeitlosigkeit, die mit Anspruch geriert, tausende von Jahren zu währen.
Es sind aber auch innere Merkmale, die sich auf das beziehen, was diese Architektur hervorruft: im Kirchenschiff soll man sich klein und verloren fühlen, die orientierungslose Masse erschlägt alles. Faschistische Architektur möchte beeindrucken und den Menschen entindividualisieren, genau das geschieht auch hier. Irritierend bis erschreckend ist der Verzicht auf jegliche christliche Symbolik im Altarbereich, selbst das Kreuz ist nicht (mehr) erwünscht, von Apostelfiguren, Engeln oder auch nur Heiligen ganz zu schweigen.
Mein Fazit: die Bezüge zur faschistischen Architektur können beeindrucken, der Verzicht auf christliche Symbole kann Puristen gefallen. Dennoch sollte man stets bedenken, dass diese Art von Architektur untrennbar mit Totalitarismus, Menschenverachtung und Diktatur verknüpft ist.
Betrachtet man unvoreingenommen diesen Raum, so bekommt man einen lebendigen Eindruck, wie die Bauten der Welthauptstadt Germania hätten aussehen sollen. Man scheint eine Ruhmeshalle oder einen Ehrentempel zu betreten, wo sich alles auf eine einzige menschliche Figur konzentriert: Einen auf einem Podest überhöhten SA-Mann in brauner Uniform, der die rechte Hand zum deutschen Gruß erhebt.

Augsburg, St. Moritz: Stadtpfarrkirche, München 1977 (2).
Claus Bernet: Kirchenfenster und Glasarbeiten, Teil 3, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 26).
Gernot Michael Müller (Hrsg.): Die Kirche St. Moritz in Augsburg, Lindenberg 2019.

 

tags: Georg Meistermann, Chor, Perle, Orange, Rheinland-Pfalz, Augsburg, Schwaben, Faschismus, Verlust, Vandalismus
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