Russische Weltgerichtsdarstellungen (17. Jh.)

Für die Entwicklung des Neuen Jerusalem auf Ikonen ist diejenige aus der St.-Boris-und-Gleb-Kirche (um 1550) aus dem Staatlichen Museum Nowgorod zentral, denn von hier aus bildeten sich zwei Entwicklungslinien von Ikonen weiter aus: Einerseits die Arkaden, andererseits Türme oben und Heilige auf einem Wolkenband unten. Um die zweite Linie soll es hier gehen.
Eine Vertreterin dieser Linie ist diese Weltgerichtsdarstellung aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts, entstanden in Russland. Sie ist Teil der Sammlung von Mikhail de Boire (Yelizavetin). Zu dieser Zeit wurde es populär, das Neue Jerusalem durch ein dunkles Wolkenband oben links von der restlichen Ikone abzutrennen und anstatt einer Stadtmauer eine lange Reihe von Heiligen zu setzen. Das Haupttor befindet sich, so wie fast immer, an der linken vorderen Seite, allein aus dem Grund, weil von dort die Engel mit geretteten Seelen von unten kommen und weitere Bewohner und Bewohnerinnen in die Stadt bringen (Typus Fahrstuhlikone).

Natalʹja I. Komaško: Russkie ikony v sobranii Michaila de Buara (Elizavetina). Katalog vystavki, Gosudarstvennyj Muzej-Zapovednik ‚Caricyno‘ (ijunʹ 2008-ijulʹ 2009), Moskva 2009.

 

Eine ähnliche Ikone aus dem Jahr 1629 hat eine Gesamtgröße von 43 x 37 Zentimetern, wovon das Himmlische Jerusalem lediglich einen kleinen Ausschnitt von 18 x 14 Zentimetern oben links ausmacht. Auch hier ziehen auf einem dunkelblauen Wolkenband zahlreiche Gerettete zu einem markanten Eingangstor nach links. Dieses Tor in grüner Farbe steht offen, ein ganz ähnliches, etwas kleineres Tor befindet sich rechts am Ende der Gruppe Geretteter. In dem Tor kann man oben noch ein Fallgitter erkennen, während unten der erste der Geretteten vor einer Figur, vermutlich Petrus oder einem Engel, niederkniet. Während rechts vor lauter Menschen die Stadtmauer nicht zu sehen ist, findet man einen Teil der Mauer links des Tores. Dort stehen weiter spitz zulaufende Türme in grünen, gelben und roten Pastelltönen. Zwischen den Türmen lässt sich eine Gruppe von Heiligen finden, die in der Stadt an einem Tisch das ewige Abendmahl feiert. Die Ikone befand sich einst in der russisch-orthodoxen Kirche St. Stephan Velikopermskiy. Heute ist sie Teil der ständigen Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle von Perm. Vermutlich ist sie eine Kopie oder stammt aus der gleichen Werkstatt wie eine ähnliche Ikone, die heute in der Tretjakow-Galerie Moskau ausgestellt ist.

 

Diese Fassung stammt aus dem privaten Umkreis der sogenannten Altgläubigen. Diese, auch Altorthodoxe genannt, waren eine Bewegung innerhalb der russisch-orthodoxen Tradition, die sich ab etwa 1666/67 von der russischen orthodoxen Großkirche löste. Die Altgläubigen wandten sich gegen die Reformen des Patriarchen Nikon (1605-1681), der ab 1652 Texte und Riten der russisch-orthodoxen Gottesdienste änderte, um sie griechisch-byzantinischen, südslawischen und den im Bereich der heutigen Ukraine gebräuchlichen Texten und Riten anzugleichen. Der Protest dagegen verband sich mit Vorstellungen vom bevorstehenden Weltenende, der Herrschaft des Antichristen und des Erscheinen des Neuen Jerusalem. Die Ikone stammt vermutlich aus Povolzhie. Datiert ist die 36 x 31 Zentimeter große Tafel auf ca. 1675. 2009 wurde sie vom Londoner Auktionshaus MacDougall’s Arts für 50.000 Pfund angeboten. Man findet auf ihr alle Bildelemente der vorherigen Ikonen, mit einer Ausnahme: Statt eines Wolkenbands schwebt die Stadt auf einem kreisförmigen Bogen und schließt diesen Bereich klar von der Umgebung ab.

 

tags: Russland, Staatliches Museum Nowgorod, Wolkenband, ewiges Abendmahl, Staatliche Kunsthalle Perm, Altgläubige, Auktion London, Auktionshaus MacDougall's Art
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