Es konnten auch Psalmschriften mit Abbildungen des Himmlischen Jerusalem illustriert werden, zumal wenn es um das Lob Jerusalems geht. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Illustration auf fol. 153v zu Psalm 86 (bzw. 87; „Zion wird die Mutter der Völker“/Zionspsalm).
Das Bild wird von der Reihung der hohen Türme beherrscht, die etwa drei Viertel der gesamten Fläche einnehmen. Eine solche Art der Darstellung gab es bislang noch nie, entfernt ähnelt es etwas an die Stadtdarstellung aus der Deutschordensapokalypse, die zeitgleich entstanden ist. Die Türme sehen auf den ersten Blick wie Säulen mit Kapitell und Basis aus. Da der Künstler alle Türme frontal zeigt, ergibt sich das Problem, da bei zwölf Türmen nur elf Zwischenräume zu setzen sind, also ein Tor in das Neue Jerusalem fehlt. Ob dies dem Künstler bewusst war, wissen wir nicht. Dass es ihm jedoch teilweise auf Textgenauigkeit ankam, belegen die Namen der zwölf Apostel, die auf jeden der zwölf Türme im unteren Bereich quasi als Fundament in Gold aufgeschrieben sind.
Neben den Türmen steht rechts ein Engel in grünem Gewand, der mit einem überlangen Stab die Stadt vermisst, von deren Bauten im oberen Bereich nur die Dachzonen hervorstehen. Der goldene Stab hat mehr kompositorische als funktionale Gründe und teilt das Bild in genau zwei Hälften. Hinter ihm sitzt an einem Schreibpult der Seher Johannes. Er wird wie ansonsten die Evangelisten oder Augustinus in seiner Schreibstube dargestellt, womit noch einmal deutlich wird, dass für die Zeitgenossen der Seher Johannes und der Evangelist Johannes identisch waren.
Das Werk, das auch als „Great Canterbury Psalter“ bezeichnet wird, war einst Teil der Kunstsammlung des Jean de Berry. Heute befindet es sich unter der Signatur MS Latin 8846 in der Abteilung Manuscrits occidentaux der Französischen Nationalbibliothek zu Paris. Entstanden ist die Handschrift in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Neben Abbildungen zu biblischen Szenen und solchen aus der Heiligenlegende ist der Psalmtext in drei Sprachen wiedergegeben. Die genaue Herkunft ist nicht geklärt, in Frage kommen Frankreich, London oder Katalonien. Die Miniaturisten jedoch dürften aus Italien gekommen sein, oder waren in Italien bzw. von Italienern ausgebildet worden.
Henri Omont (Bearb.): Psautier illustré (XIIIe siècle), Paris (um 1906).
Jacqueline Sclafer: 8846 Psalterium Cantuariense, in: Catalogue général des manuscrits latin nos. 8823 à 8921, Paris 1997, S. 37-39.