Stundenbücher-Kalender aus MS Latin 18014 (um 1375), MS Latin 18014 (um 1400), MS Latin 10483 (um 1400), MS Latin 919 (1409) und MS Rothschild 2529 (1400-1430)

Ein Stundenbuch (lat. Horarium) war ein Gebets- und Andachtsbuch für Laien, vorgesehen eben für die Stunden, die man dem Gebet (und diesem Buch) widmete. Stundenbücher galten und gelten als Glanzstücke der mittelalterlichen Buchkunst, da sie oft mit aufwendigem Buchschmuck versehen waren. Manche – nicht alle – der Stundenbücher haben am Beginn einen Kalender. Dort sind die Feiertage und besondere Andachten und Festtage für die zwölf Monate verzeichnet. Gelegentlich sind an dieser Stelle den Miniaturen zu den jeweiligen zwölf Blättern die Monatsnamen beigegeben, und fast immer findet man die Tierkreissternbilder des Zodiaks in der Miniatur thematisiert.
In Stundenbüchern findet man noch einmal die gesamte religiöse Vorstellungswelt des Mittelalters dargestellt, vom Sündenfall, Turmbau zu Babel, Verkündigung Mariens, der Passionsgeschichte bis zum Jüngsten Gericht. Auch das Himmlische Jerusalem erscheint in diesen Stundenbüchern. Die Anordnung ist ungewöhnlich und durchaus originell: Man hat darauf verzichtet, die Stadt im Ganzen auf einer Seite abzubilden. Dafür wurden kleine Miniaturen auf zwölf Seiten verteilt. Jede dieser Miniaturen zeigt ein meist offenes Tor mit Türmen und Teilen der Mauer, ebenso jeweils einen Heiligen oder eine Heilige als Wächter mit Fahne. Vor dem Neuen Jerusalem finden sich stets biblische Gestalten oder Heilige ein, die sich im rechten Glauben unterweisen lassen. In der Gesamtschau der zwölf Blätter erscheint vor dem geistigen Auge ein zwölftoriges Himmlisches Jerusalem.

MS Latin 18014 aus der Französischen Nationalbibliothek ist eines der frühen Stundenbücher, welches eine solche Anordnung aufweist. Das „Petites heures de Jean de Berry“ entstand um 1375 in Paris. Die Blätter 1 und 1v, 2 und 2v, 3 und 3v, 4 und 4v, 5 und 5v, 6 und 6v zeigen oben links jeweils ein Detail der Gottesstadt, passend zu dem Monat, dem sie beigeordnet sind.
Der Herzog von Berry (1340-1416) war der Finanzier mehrerer Stundenbücher. Er war ein jüngerer Sohn des späteren französischen Königs Johann II. und der Bonne von Luxemburg, der Schwester des Kaisers Karl IV. Sein Leben war von Geldgier, Streitereien und Intrigen geprägt. Als menschenverachtender Despot investierte er sein zusammengestohlenes Vermögen zum großen Teil in Kunst, um damit seinen Ruf wiederherzustellen.

Eine in Teilen beschädigte Kopie ist MS Latin 10483, die ebenfalls in der Französischen Nationalbibliothek aufbewahrt wird. „Überlebt“ haben, was die Monats-Miniaturen angeht, lediglich fol. 6 und 6v, und auch diese nur als Fragment. Hier zu sehen sind die Darstellungen für die Monate November und Dezember. Die Handschrift entstand um 1400.

 

Das „Grandes heures de Jean de Berry“, auch als „Horae ad usum parisiensem“ bezeichnet, gehört zu den späten Arbeiten, die de Berry in Paris in Auftrag gab. Es ist auf 1409 datiert und befindet sich in der Französischen Nationalbibliothek, dort unter der Signatur MS Latin 919. Die zwölf Miniaturen von fol. 1, 1v, 2, 2v, 3, 3v, 4, 4v, 5, 5v, 6 und 6v sind mit üppigem Rankenwerk im Flamboyant-Stil überzogen, was das Erkennen von Details nicht gerade erleichtert, zumal einige der Blätter Wasserschäden aufweisen. Die Anordnung und Gestaltung der Blätter orientiert sich deutlich an MS Latin 18014, was auf den gleichen Auftraggeber oder beteiligten Künstler einer Pariser Werkstatt schließen lässt. Was die Architekturdarstellungen angeht, sind sie hier in etwas dunkleren Tönen gehalten. Sie sind verspielter, zeigen wesentlich mehr Details und haben eine stärkere Tendenz zur Symmetrie.

Les grandes heures de Jean de France, duc de Berry: Bibliothèque Nationale, Paris, introduction et légendes par Marcel Thomas, Paris 1971.
John Harthan: The Book of Hours. With a historical survey and commentary, New York 1977.
Roger S. Wieck: Time sanctified. The Book of Hours in medieval art and life, New York 1988.
Raymond Cazelles, Johannes Rathofer: Das Stundenbuch des Duc de Berry. Les très riches heures. Les Petites Heures de Jean, Duc de Berry, o.O. 1988.
François Avril: Les Petites Heures de Jean, duc de Berry. Introduction au manuscrit lat. 18014 de la Bibliothèque Nationale, Paris, Luzern 1989.
Janet Backhouse: The hastings hours, London 1996.
Roger S. Wieck: Picturing piety. The book of hours, London 2007. 

 

Die Handschrift MS Rothschild 2529 (Französische Nationalbibliothek) ist bekannt als „Bréviaire de Martin d’Aragon“ und stammt aus einem Zisterzienserkloster Kataloniens. Sie entstand dort zwischen etwa 1400 und 1430. Martin I. (1356-1410), genannt „el Humano“, war von 1395 bis 1410 König von Aragón, ab dem Jahr 1409 auch von Sardinien und von 1409 bis 1410 König von Sizilien. In seinem Stundenbuch sind auf fol. 2v, 3v, 4v, 5v, 6v, 7v, 8v, 9v, 10v, 11v, 12v und 13v den Abbreviaturen des Himmlischen Jerusalem stets ruinöse Architekturen gegenübergestellt, die sich bei anderen Stundenbüchern erst im rückwärtigen Teil der Blätter finden. Selbstverständlich ist das Himmlische Jerusalem stets größer und schöner als die gegenüberliegende Ruine, die für irdische Verfehlungen, für Babel und Babylon steht. Von vorangegangenen Stundenbüchern wurden weitere Details übernommen, wie etwa die lehrenden Apostel vor der Stadt oder die Frau mit der Fahne im Turm. Jede der Stadtanlagen ist übrigens etwas anders gestaltet; der Miniaturist hatte eine große Phantasie und Freude an Architekturdetails.

Le bréviaire de Martin d’Aragon. Présenté par Jean Porcher, Paris (um 1951).
John Harthan: The Book of Hours. With a historical survey and commentary, New York 1977.
Roger S. Wieck: Time sanctified. The Book of Hours in medieval art and life, New York 1988.
Josefina Planas: El breviario de Martín el Humano. Un códice de lujo para el monasterio de Poblet, Valencia 2010.
Josefina Planas: Il gioiello della corona. Il breviario di re Martino I d’Aragona in: Alumina, 32, 9, 2011, S. 14-21.
Claus Bernet: Gotik, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 30).

 

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