Erentrud Trost (1923-2004): Abteikirche (1955) und Meditationsraum des Klosters Varensell (1977)
Die Abtei Varensell bei Rietberg im Kreis Gütersloh (Ostwestfalen) ist ein Benediktinerinnenkloster in der Erzdiözese Paderborn, von wo aus seit etwa einhundert Jahren diakonisch, pädagogisch und seelsorgerlich gearbeitet wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg blühte die Abtei auf, man baute großzügig und künstlerisch hochwertig. Uneins war man, mit welchen Motiven die Glaswand gegenüber des Altars der erweiterten Klosterkirche gestaltet werden sollte. Um sich Klarheit zu verschaffen, reiste die damalige Äbtissin zu verschiedenen Klöstern und studierte dort die Kunstwerke. In ihrer Begleitung befand sich eine junge Nonne, Erentrud Trost (1923-2004) aus Paderborn, von der bereits feststand, dass dieses neue und talentierte Mitglied der Kongregation die künstlerische Ausführung übernehmen sollte. Im Kloster Beuron sollen sie Lösungen für Varensell gefunden haben.
Das Rundbogenfenster in der Abteikirche wurde in neun Bahnen geteilt. In der Mitte hält eine Marienfigur Jesus auf dem Schloss. Beide sind in der oberen Reihe von acht Musikanten und in der unteren Reihe von neun Heiligen der Kirchengeschichte umgeben. Oben, im Scheitel des Monumentalbogens, wird deutlich, dass sich diese Szene im Himmlischen Jerusalem abspielt. Dort ziehen sich neun Bauten über ein Fundament roter Arkaden. Zu Seiten des Hauptbaus sind die kleineren Bauten spiegelbildlich gesetzt, sind aber in der Ausführung individuell ausgestaltet. Wegen der Kreuze auf den Kuppeln wird es sich um Sakralbauten handeln. In Farbe und Form sind sie einfach gehalten, zwei nehmen die Darstellung von Jerusalem und Bethlehem aus dem Mausoleum Santa Costanza in Rom auf. Der mittlere Bau hat ein Rundbogentor, welches nochmals mit der Form des gesamten Fensters korrespondiert. Hier hat die Künstlerin eine Taube als Symbol des Heiligen Geistes gesetzt.
Erentrud Trost war für ihre ruhige, bedächtige Art, ihre Dialog- und Kompromissbereitschaft gerade im Kloster geschätzt. Als 1977 die Glasgestaltung für den neuen Meditationsraum eines Gästehauses anstand, war es eine Selbstverständlichkeit, dass Trost damit beauftragt wurde. Die Künstlerin hatte inzwischen bei Vincenz Pieper an der Werkkunstschule in Münster studiert und zahlreiche Glasfenster im Bistum Paderborn aufgeführt. Im Kloster hatte sie sich dazu eine eigene Werkstatt eingerichtet, hier entstanden Paramente, Glasfenster, Holzarbeiten, Buchmalereien und sogar Entwürfe für Fresken. Wie meist, besprach sie auch die Ausgestaltung des Meditationsraums mit denjenigen Mitschwestern, die sich dafür interessierten. Viele Werke speziell des Klosters entstanden in Rücksprache mit Äbtissin Judith Frei (geb. 1938), die Trost über Jahrzehnte förderte und ermutigte.
Erneut kamen die Schwestern auf das Bildmotiv des Himmlischen Jerusalem. Das bis zum Scheitel etwa 3,5 Meter hohe und zwei Meter breite Fenster zeigt das Lamm Gottes in der Stadt. Es ist gänzlich weiß gehalten und von einer ebenfalls weißen Gloriole umzogen. Auf weitere figürliche Elemente wurde hier verzichtet, das gesamte Fenster lebt von einer geometrischen Formation, die überwiegend aus den Farben des Himmlischen Jerusalems, nämlich blau und rot, gestaltet ist. Vor allem Dreieckselemente, die in der Form des Fensters vorgegeben sind, strukturieren die Fläche der drei Bahnen.
Zufällig entdeckten wir bei meinem Besuch, dass sich dieses Fenster in der Mitte öffnen lässt. Soweit bekannt, ist es das einzige Fenster mit dem Motiv des Himmlischen Jerusalem, welches in sich ein weiteres, „echtes“ Fenster trägt. Sicherlich war dies auch der praktischen Überlegung geschuldet, dass dieser kleine Raum gut belüftet werden kann.
Michaela Puzicha: Abtei Varensell, München 1978.
Paul Jakobi: Das Mindener Evangelistar, von Erentrud Trost und Lioba Munz, Minden 2006.
Claus Bernet: Kirchenfenster und Glasarbeiten, Teil 3, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 26).