Hans Prinzhorn war und ist in Fachkreisen noch heute bekannt für seine umfangreiche Sammlung von künstlerischen Arbeiten, die von Insassen psychiatrischer Anstalten geschaffen worden waren. Eine seiner Anfragen nach neuem Material, für die die Erkrankten jedoch niemals eine angemessene Vergütung erhalten haben (sondern gar keine), ging an die damalige Provinzial-Pflegeanstalt Eickelborn bei Soest. Diese übergab Prinzhorn für seine Sammlung zwölf Bilder von Peter Meyer (1871 oder 1872 -1930). Meyers Arbeiten wurden dann unter seinem Pseudonym „Moog“ in Prinzhorns Werk „Bildnerei der Geisteskranken“ (1922) besprochen und wissenschaftlich verwertet, wiederum ohne dass Meyer an den Tantiemen beteiligt gewesen wäre. Möglicherweise hat man ihm seine Bilder sogar ohne Einverständnis abgenommen, „im Dienste der Wissenschaft“.
Meyer war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, arbeitete als Kellner, stieg auf und führte schließlich ein eigenes Gasthaus in Münster. Ab 1908 begann er, künstlerisch tätig zu sein. Gleichzeitig setzte ein Vagabundenleben ein. 1911 wurde er in die Anstalt für Geisteskranke in Eickelborn aufgenommen, wo damals auch geistig normale Obdachlose zwangseingewiesen wurden. Dort entsagte Meyer (freiwillig?) 1918 dem Alkohol sowie dem Tabak und widmete sich allein der religiösen Kunst. In diesem Jahr entstand innerhalb von zwei Monaten seine Zeichnung „Jüngstes Gericht“ (Gesamtgröße 45 x 40 Zentimeter), welche heute Teil der Heidelberger Sammlung Prinzhorn ist (Inventarnnummer 102). Als Unterlage diente ihm aus Kostengründen ein Schuhkarton, der dazu wie ein Triptychon aufgeklappt wurde. Auf der Rückseite haben sich Spuren einer Zeitung erhalten, die vielleicht etwas mehr über Meyers Lesegewohnheiten verraten könnte, wenn es gelingt, die Fragmente einer bestimmten Ausgabe zuzuweisen. Da sich über Meyer keine Krankenakte erhalten hat, wissen wir über sein Leben ansonsten kaum etwas.
Meyer entwarf zunächst die Komposition, dann zeichnete er mit Bleistift die Figuren und Gewänder. Erst anschließend wurde die dazu passende Szene gefunden, dann mit Feder, Tinte und Pinsel koloriert.
Auf der rechten Seite ist die Erlösung dargestellt, unten mit zwei Himmelspforten und einem gotischen Dom. Es soll der Dom zu Köln sein, für den dieses Kunstwerk einst gedacht war. Meyer kannte den Bau aus eigener Anschauung und war, was sich auch an anderen seiner Zeichnungen zeigt, katholischen Glaubens. Auch Stefan Lochners Weltgericht soll ihm zur Inspiration seines Weltgerichts gedient haben. Bei Meyer befindet sich das Neue Jerusalem oben als Burg mit vier Balkonen. In diesen Balkonen oder Arkaden, die man auch aus der orthodoxen Darstellung des Himmlischen Jerusalem kennt, befinden sich Heilige beiderlei Geschlechts. Manche sind offensichtlich Paare und umarmen sich innig, andere sind mit einem Stab als Bischöfe kenntlich gemacht.
Sabine Mechler: Peter Meyer (Moog), Gastwirt, Dichterfürst und Heiligenmaler, in: Bettina Brand-Claussen (Hrsg.): Wunderhülsen und Willenskurven, Heidelberg 2002, S. 104-109.
Sabine Hohnholz: Peter Meyer, in: Apocalypse now! Visionen von Schrecken und Hoffnung in der Kunst vom Mittelalter bis heute, hrsg. vom Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern, München 2014, S. 220-221.