Einen der letzten großartigen Weltgerichtsaltäre schuf Hans Memling (um 1430-1494). Sein Altarbild befand sich einst in der Danziger Marienkirche und heute im Nationalmuseum zu Danzig. Der abenteuerliche Weg des Altars ist bis ins Detail bekannt und oftmals erzählt worden: Als Folge des Seekriegs zwischen der deutschen Hanse und England wurde ein unter burgundischer Flagge segelndes, von Tommaso Portinari finanziertes Schiff 1473 von dem in Danziger Diensten stehenden Paul Benecke vor England gekapert. Die Beute wurde aufgeteilt und der Weltgerichtsaltar von den frommen Piraten für die Frauenkirche in Danzig gestiftet. Trotz Intervention des burgundischen Herzogs und des Papstes Sixtus IV. wurde die Beute nie zurückgegeben; Brügge leistete schließlich Portinari eine Schadenersatzzahlung.
Für das Neue Jerusalem ist nur der linke Flügel in der Größe von 223 x 72 Zentimeter von Bedeutung: Petrus empfängt dort die Auserwählten mit Handschlag am Fuß einer Kristalltreppe (rechts, hier nicht zu sehen). Einer der Engel drängt zur Eile und schiebt mit sanftem Druck einen etwas säumigen Mann weiter in Richtung Tor. Vor der Himmelspforte werden die Ankömmlinge entsprechend ihres irdischen Standes eingekleidet. Voran geht der Papst, gefolgt von anderen kirchlichen Würdenträgern (Bischof, Kardinal, Mönch). Alle streben in das gewaltige Tor in Manier eines Triumphbogens in gotischer Gestalt. Bemerkenswert ist, dass auf diesem Tor von Memling ein Tympanon im Stil der Gotik aufgemalt worden ist, welches das Gericht mit Gott als Weltenrichter im Wimperg erneut thematisiert, als Bild im Bild. Es war die Zeit, zu der auch andere Meister die Stadt Jerusalem als übermächtige Phantasiekathedrale zeigten und vor allem einen prächtigen Wimperg einfügten, Beispiele kennen wir von Rogier van der Weyden, Stefan Lochner oder von einem Weltgericht aus Antwerpen.
Willi Drost: Das jüngste Gericht des Hans Memling in der Marienkirche zu Danzig, Wien 1941.
Michał Walicki: Hans Memling, sa̜d ostateczny, Warszawa 1990 (3).
Hélène Verougstraete (Hrsg.): Memling studies. Proceedings of the international colloquium, Leuven 1997.
Maximiliaan P. J. Martens (Hrsg.): Memling und seine Zeit. Brügge und die Renaissance, Stuttgart 1998.
Barbara G. Lane: Hans Memling. Master painter in fifteenth-century Bruges, London 2009.