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Ausgaben des Liber Floridus (um 1120, um 1150, um 1460, 15. und 16. Jh.)

Das Liber Floridus (lat. Buch der Blumen) ist ein mittelalterliches Werk, welches vermutlich der Benediktiner Lambert de Saint-Omer aus vielen einzelnen Handschriften kompiliert hat. Es handelt sich also um eine Art mittelalterliche Enzyklopädie, die sich mit verschiedenen theologischen, naturphilosophischen und historischen Fragen befasste. Darauf spielt auch der Titel an, der das Wissen und die Schätze der Welt als einen paradiesischen Blumengarten betrachtet – daher der Name. Entstanden ist das früheste Werk in der Grafschaft Flandern. Das Original, welches sich heute in der Universitätsbibliothek Gent befindet (MS Cod. autogr. 92, fol. 65), wird auf das Jahr 1120 datiert, es gibt zahlreiche Kopien.

In einer mittelalterlichen Enzyklopädie darf das Himmlische Jerusalem selbstverständlich nicht fehlen. Zwölf filigrane, reichlich verzierte Türme ziehen sich um eine runde Stadt. Sie sind bereits auf dieser Urfassung mit den Namen der Apostel und den Edelsteinen tituliert, in der Reihenfolge nach 2. Moses, Kap. 28, Vers 17-21. Jeder Turm ist mit einem Dach, einer Perle und einem Kreuz bekrönt, und durch die runde Form werden einige Türme perspektivisch in das Stadtinnere gezogen, was wie eine Ansammlung von Kirchenbauten aussieht. Vorne sind zwei Nebentore und ein mittiges Turmtor zu sehen, die mit Eisenbeschlägen versehen und fest verschlossen sind. Ausnahmsweise ist die Zeichnung auch betitelt, „HIER(USA)L(E)M CELESTIS“ steht in karolingischen Majuskeln über dem Bild. Dieses ist in einem hellbraunen und einem violetten Farbton gehalten.

 

Eine frühe Kopie von um 1150 aus Nordfrankreich oder Flandern hat sich in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel erhalten (Cod. Guelf. 1 Gud. lat., 43v), wo sie der damalige Bibliothekar Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahr 1710 erwarb. Diese ist vor allem in ihrer Farbkraft besser erhalten als das Original. Wurden bei dem Original die Türme mit einer blauen Farbe von oben bis unten überstrichen, so haben wir hier ein differenziertes Farbmuster. Auch die Beschriftungen über der Stadt sind sorgfältiger und jetzt zweifarbig ausgearbeitet.

 

Eine wesentlich spätere Fassung wurde erst wieder um 1460 geschaffen. Lambert of St. Omer’s „Liber Floridus“ stammt aus Lille und Ninove (heute Belgien), es gehört zu der Koninklijke Bibliotheek Den Haag, KB, 72 A 23, fol. 51r. Vor allem die matten Pastellfarben waren Mitte des 15. Jh. populär. Vor der Stadtmauer wachsen jetzt zwei Grünpflanzen, die Türme oben sind schmaler und vertikaler ausgerichtet, ansonsten muss der Kopist seine Vorlagen gut gekannt haben, denn insbesondere die Beschriftung wurde unverändert übernommen.

 

Ein weiterer Liber Floridus des Lambert de Saint-Omer entstand im 15. Jahrhundert, er befindet sich heute in Chantilly, Musée Condé, MS 724. Fol. 44v zeigt eine Stadt, die nicht mehr rund ist, sondern sich der quadratischen Form annähert. Die Mittelachse wird durch die zwei massive Türme stärker betont, die seitlichen Türme wachsen kaum mehr über die Mauer hinaus. Die Architektur hat sich von romanischen Bauten hin zu einer Gotik verändert, die schon Spuren des Flamboyant aufweist.

 

Eine letzte Fassung entstand dann bereits im 16. Jahrhundert. Es ist die Ausgabe „Le livre fleurissant en fleurs“, eine prosaische Fassung des Liber Floridus in Französisch von 1512. Hergestellt wurde sie in Enghien, eine Stadt in der belgischen Region Wallonien. Heutiger Aufbewahrungsort ist die Koninklijke Bibliotheek in Den Haag (KB, 128 C 4). Fol. 102r zeigt die Stadt als Kopie von KB, 72 A 23, fol. 51r. Weggelassen wurde allein die umfangreiche Kolorierung. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Fassung eine Übung war, mit der Schüler sich auf ihr Handwerk vorbereiteten. Für handbemalte Ausgaben des Liber Floridus gab es jedoch am Vorabend der Reformation und vor allem wegen des Buchdrucks keinen echten Mark mehr, gefragt waren jetzt Darstellungen der Maria Immaculata (Lauretanische Litanei) und vor allem Bibelausgaben.

Léopold Delisle: Notice sur les manuscrits du ‚Liber floridus’ de Lambert, chanoine de Saint-Omer, Paris 1906.
Lamberti S. Audomari canonici: Liber floridus, Gandavi 1967.
Gerard Lieftinck: Lambert de Saint Omer et son Liber Floridus, Torino 1973.
David N. Dumville: Liber Floridus of Lambert of Saint-Omer and the historia Brittonum, in: Bulletin of the Board of Celtic Studies, 26, 1974-76, S. 103-122.
Albert Derolez: Lambertus qui librum fecit: Een codicologische studie van de Liber floridus-autograaf, Brussel 1978.
Virginia Grace Tuttle: An analysis of the structure of the ‚liber floridus’, Columbus University 1979.
Richard K. Emmerson, Suzanne Lewis: Census and bibliography of medieval manuscripts containing apocalypse illustrations ca. 800-1500, in: Traditio, 40, 1984, S. 337-379; 41, 1985, S. 367-409.
Suzanne Lewis: Reading images, Cambridge 1995.
Albert Derolez: The autograph manuscript of the Liber Floridus, Turnhout 1998.

 

tags: Enzyklopädie, Benediktiner, Lexikon, Flandern, Belgien, Universitätsbibliothek Gent, HAB Wolfenbüttel, Pastell, Koninklijke Bibliotheek Den Haag, Musée Condé, Mittelalter
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