1521, Gesta Romanorum, Paris © Jean F. Letenneur

„Gesta Romanorum“ (1521)

Mitunter tauchen auf Auktionen mittelalterliche und frühneuzeitliche Handschriften auf, die bislang unbekannte Miniaturen des Neuen Jerusalem einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen – leider nur für kurze Zeit, bis die Werke zu oft in Privatsammlungen verschwinden, wo sie der Forschung und dem Kunstgenuss für die meisten Interessierten entzogen sind. Das war auch 2019 der Fall, als in Paris ein Werk der Gesta Romanorum für 28.000 Euro zum Verkauf anstand. Die „Gesta Romanorum“ (deutsch: „Die Taten der Römer“) sind eine spätmittelalterliche Exempelsammlung moralischer Erzählungen, die weit über die Römerzeit hinausgeht. Sie fand seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis vereinzelt in den Barock in wechselnder Gestalt weite Verbreitung. In Paris entstand 1521 beim Verleger Jean de la Garde eine reich bebilderte Fassung in Altfranzösisch. Fol. xciiiv repräsentiert uns darin eine außergewöhnliche Heilige Stadt, es ist mit Abstand die beste der 34 Miniaturen eines unbekannten Meisters. Ein nackter Mann steht vor einer schmalen Pforte, in die Petrus, geschmückt im vollen Ornat samt Heiligenschein, Einlass gewährt. Links und rechts der beiden sind noch größere Figuren eingefügt, die nach innen kleiner werden und dadurch perspektivisch den Blick auf den schmalen Weg vor der Pforte fokussieren. Viele der Ankommenden scheinen Pilger zu sein, manche der Personen haben einen Pilgerstab und eine Pilgertasche. Die Stadt besticht vor allem durch eine hohe, kahle Mauer, von der jeder einzelne Quaderstein zu erkennen ist. Vier Rundtürme erheben sich über die Mauer. Auf dieser, wie auch auf den Mauerzügen dazwischen, sind Repräsentanten der Kirche zu finden: Ordensvertreter, ein Bischof, ein Kardinal ganz außen rechts, usw. Damit wird die Stadtanlage auch zur Versinnbildlichung der römisch-katholischen Kirche. Der Miniatur wurde, was typisch für das 16. Jahrhundert ist, ein erklärendes Spruchband eingefügt: „Cite de ierusalem celeste“. Vor der Pforte muss noch auf einen Engel mit einem Flammenschwert hingewiesen werden. Er ist der eigentliche Torwächter. Die himmlische Zone wird dann oben mit weiteren Engeln fortgesetzt, wo man im Zentrum eine Trinitätsdarstellung findet: Christus und Gott sitzen sich gegenüber, darüber ist eine Taube gesetzt (symbolisch für den Heiligen Geist). Inspiration zu dieser Miniatur waren sicherlich die Darstellungen aus dem Pilgerromans von Guillaume de Digulleville, etwa diejenige aus Tours von 1460. Ähnlichkeiten sind vor allem:
-die Mönche vor der Stadt, die Heiligen auf den Zinnen
-der Pilger vor der Pforte
-der rotfarbene Wächterengel
-die Anordnung der Mauern im Wechsel mit Rundtürmen.

 

tags: Frankreich, Pilger, Trinität, Auktion
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