In Frankreich entstanden auch im 15. Jahrhundert zahlreiche Apokalypse-Handschriften, von denen einige auch mit Miniaturen ausgestattet wurden. Ein schönes Beispiel ist die Pretiose MS 5091 aus der Pariser Bibliothèque de l’Arsenal, die inzwischen der Französischen Nationalbibliothek inkorporiert wurde.
Beide Darstellungen, die in dem Werk das Himmlische Jerusalem zeigen, sind jeweils in drei Zonen unterteilt. Zunächst gibt es die irdische Zone: Vor Johannes breitet sich eine freie hügelige Landschaft aus. Deren Weite gilt als typisch für Werke der Frührenaissance, was durch die zurückhaltende Kolorierung mit Wasserfarben nochmals unterstrichen wird. Daneben gibt es eine Stadtzone mit dem Himmlischen Jerusalem. Auf fol. 32v befindet es sich noch „im Anflug“.
Auf der folgenden Abbildung auf fol. 33v ist die Stadt „gelandet“. Diese ist mit blassen Weiß- und Beigetönen und mit niedrigen Mauern recht unspektakulär gehalten. Ungewöhnlich ist, dass die Türme der Stadt teilweise nach außen, also vor die Mauern in die Landschaft gesetzt wurden. Die Wächterengel wurden genauso weggelassen wie Perlen oder Edelsteine, allein ein kleiner Engel mit dem Maßstab an der Stadtmauer verweist auf das Transzendente der Szene, wenn es nicht die obere, himmlische Zone gäbe. Es ist ein Blick in den sich öffnenden Himmel, dessen rotgoldene Wolken noch an eine mittelalterliche Mandorla erinnern. In ihr erscheint Gott auf einem Thron, der jetzt vom Agnus Dei flankiert ist.
In der Bildfolge und in diesem Aufbau, aber auch in Details wie den Turmdreiergruppen auf fol. 33v gibt es hier deutliche Ähnlichkeiten mit der Handschrift MS 439, ebenfalls eine Apokalypse aus Lyon, die noch schematischer gezeichnet ist und etwas von dem Geist der Gotik verspüren lässt. Das ist bei dieser Apokalypse nicht mehr der Fall.
Samuel Berger: La Bible française au Moyen Age. Étude sur les plus anciennes versions de la Bible écrites en prose de langue d’oil, Paris 1884.
Claus Bernet: Miniaturen des Mittelalters, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 28).