Weltgerichtsdarstellungen der Legenda Aurea (um 1405) und aus einem Stundenbuch (1430-1460)
Auf der Miniatur wurde das Weltgericht in Szene gesetzt, wie es seit Jahrhunderten Tradition war: Links das Neue Jerusalem, rechts die Hölle, dazwischen Christus als Richter auf einem Regenbogen. Neu war, den goldenen Hintergrund durch ein tiefes Blau auszutauschen, welches mit goldenen Sternen für das Firmament steht. Die Pforte bzw. die Stadt besitzt keine gotischen Stilmerkmale mehr, sie ist bereits von der neuen Frührenaissance-Architektur der Lombardei inspiriert. Auf Bildern war es ja einfacher, Architektur in einem neuen Stil zu präsentieren, die baulichen Werke zogen dann nach.
Die Miniatur fol. 7r wurde um 1405 zunächst für eine Ausgabe der Legenda Aurea entworfen, die sich heute unter der Signatur MS 9228 in der Bibliothèque royale de Belgique in Brüssel befindet. Die Legenda Aurea (lat. Goldene Legende) ist eine von dem Dominikaner Jacobus de Voragine (um 1230-1298) verfasste Sammlung von ursprünglich 182 Traktaten zu Kirchenfesten, Heiligenlegenden, Lebensgeschichten Heiliger. Es handelt sich bei der Legenda Aurea um das bekannteste und am weitesten verbreitete religiöse Volksbuch des Mittelalters, in dem das Himmlische Jerusalem aber eher ausnahmsweise thematisiert worden ist.
Das Blatt 7r wurde dann zur Vorlage für eine Torszene eines lateinischen Stundenbuchs, entstanden zwischen 1430 und 1460. Es war später im Besitz von Philippe de Béthune (1561-1649) und ist heute in der Stadtbibliothek von Tours zu finden (MS 218). Obwohl die Architektur der gotischen Himmelspforte auf fol. 95v älter erscheint, ist diese Miniatur fast eine Generation jünger. Auch die Auferstehung der Toten und der übergroße Petrus wurden wieder eingefügt, beides Motive aus der Gotik. Beibehalten und weiterentwickelt wurden der blaue Hintergrund und Christus auf dem Regenbogen. Insgesamt lässt sich auf dem Bild an vielen Details nachweisen, dass die Gotik noch stark präsent war (vor allem auch in Blockbüchern, vgl. den Heidelberger Bilderkatechismus) und die Entwicklung zu einem neuen Stil nicht linear, sondern mit Brüchen und Rückgriffen erfolgte.
Augustin Dorange: Catalogue descriptif et raisonné de la bibliothèque de Tours, Tours 1875.
Joseph van den Gheyn: Catalogue des manuscrits de la Bibliothèque Royale de Belgique, 5: Histoire, Bruxelles 1905.
Michèle Prevost: Tours, Bibliothèque Municipale, Patrimoine des bibliothèques de France, un guide des régions, 10, Paris 1995.
Claus Bernet: Torszenen, Himmelspforten, Porta Coeli, Norderstedt 2014 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 11).