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MS 532: Guillaume de Digullevilles Pélerinage (um 1350)

Um 1350 dürfte die Handschrift MS 532 (früher MS 845) aus der Stadtbibliothek Arras in der Region Nord-Pas-de-Calais entstanden sein, einige Jahre vor der Ausgabe MS 768. Fol. 75v zeigt eine für eine Pélerinage durchaus ungewöhnliche Miniatur: Die Figur des Mönches ist hier außerhalb des eigentlichen Bildes an den linken Rand gesetzt.

In seiner Hand hält er den Spiegel, in dem er eingangs des Romans das Himmlische Jerusalem erblickt. Üblicherweise öffnet die Pélerinage mit dieser Szene. Die Gottesstadt erscheint dann rechts ein zweites Mal. Es ist die Szene, in welcher Mönche auf ungewöhnlichem Wege in die Stadt gelangen, mit Hilfe von Leitern und Kordeln. Zwei Personen scheinen unbefugt Zutritt in die heilige Stadt verlangt zu haben: Rechts verweigert Petrus einer ärmlich wirkenden Gestalt den Durchgang durch die Pforte, und links wird ein unbewaffneter Mensch von einem Engel, der vor einer weiteren Pforte steht, erbarmungslos mit einem Schwert durchbohrt. Diese Miniatur scheint so etwas wie ein Cover zu dem Band gewesen sein, im Folgenden werden die geschilderten Szenen nochmals in einzelnen Miniaturen gebracht.

Fol. 76r wiederholt zunächst nochmals die Spiegelerscheinung. Diesmal ist das Neue Jerusalem jedoch keine prächtige gotische Stadt, sondern man erkennt, wenn überhaupt, in der runden Spiegeloberfläche lediglich grau-schwarze Mauerpartien. Offensichtlich bestand das Gebäude, das durch Kratzer beschädigt wurde, aus drei Toren oder Türmen. Der Pilger im Bett sieht diese Erscheinung nicht direkt. Er schläft, und wir sehen, was er träumt.

Fol. 76v bringt gleich drei Miniaturen auf einem Blatt. Die Geschichte spinnt sich weiter fort, zunächst mit dem Engel als Wächter des Himmlischen Jerusalem, dessen Erbarmungslosigkeit wir bereits kennen. Die folgenden Szenen zeigen dann illegitime Versuche der Mönche, sich Zutritt zu verschaffen: Manche basteln sich Flügel und versuchen sich, wie in der antiken Geschichte Dädalus und Ikarus, als Vögel. Aus dem Roman wurde übrigens wegen dieser Szene „komischer Vogel“ sprichwörtlich. Andere Mönche vertrauen einer Leiter und versuchen, damit über die Mauer zu gelangen.

Fol. 77r zeigt zunächst einen weiteren solchen Versuch: Mit einer Kordel versuchen sie, die geschlossene Pforte zu überwinden und sich aufzuseilen. All diese Versuche misslingen selbstverständlich. Erfolg verspricht nur der ehrliche Weg, den die nächste Miniatur zeigt: Die Mönche müssen ihre Kleidung ausziehen, was indirekt heißt, sie müssen ihren alten, sündhaften Lebenswandel ablegen. Petrus steht nun vor ihnen, er allein hat den Schlüssel, mit dem man in die Stadt gelangen kann.

Auf fol. 210v ist das Neue Jerusalem auf einer kleineren Miniatur nochmals als eine Art goldener mittelalterlicher Tabernakel dargestellt. Die Malweise ist hier anders, wesentlich freier und malerischer, und auch die Rahmung verändert: Nach gut weiteren einhundert Seiten haben wir es mit einem anderen Miniaturisten zu tun. Ein Engel führt hier dem Pilger Jerusalem vor. Besonderheiten sind hier die fünf Vögel vor der Miniaturstadt sowie die schicke Pilgertasche der Hauptperson: nackt, aber Tasche muss sein.

Michael Camille: The illustrated manuscripts of Guillaume de Deguileville’s Pèlerinages, Cambridge (Mass.) 1985.
Robert L. A. Clark, Pamela Sheingorn: Were Guillaume de Digulleville’s Pèlerinages ‚plays’? The case for Arras MS 845 as performative anthology, in: European Medieval Drama, 12, 1, 2008, S. 109-147.
Émilie Fréger, Anne-Marie Legaré: Le manuscrit d’Arras (BM, MS. 845) dans la tradition des manuscrits enluminés du Pèlerinage de l’Âme en vers. Spécificités iconographiques et milieu de production, in: Frédéric Duval, Fabienne Pomel (Hrsg.): Guillaume de Digulleville. Les pèlerinages allégoriques, Rennes 2008, S. 331-347.

 

tags: Guillaume de Digulleville, Pélerinage, Spiegel, Nord-Pas-de-Calais, Mittelalter, Gotik, Schwert, Vögel, Handtasche, Petrus, Tabernakel
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