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MS 1038: Guillaume de Digullevilles Pélerinage (um 1350)

Aus der Zeit um 1350 stammt eine Pélerinage des Guillaume de Digulleville, die sich heute als MS 1038 in der New Yorker Morgan Library befindet. Die Handschrift ist eine der ältesten illustrierten Ausgaben dieses mittelalterlichen Romans überhaupt. Sechs Abbildungen, die das Neue Jerusalem zeigen, befinden sich verteilt auf fol. 1r (eine Miniatur), 1v (zwei Miniaturen), 2r (zwei Miniaturen) und 2v (eine Miniatur). Art der Darstellung wie auch die Farbgebung ist ähnlich wie in MS Francais 1818, die kurz danach entstanden ist.
Ausgerechnet fol. 1r, die die zentrale Abbildung mit dem Spiegelmotiv zeigt, ist nicht besonders gut erhalten. Zwar ist der Pilger auf seinem Bett gerade noch zu erkennen, doch von dem im Spiegel erscheinenden Jerusalem ist kaum mehr etwas vorhanden. Die Reste im Spiegel rechts, der Text und vor allem der Vergleich mit ähnlichen Ausgaben wie MS Francais 1645 oder MS 845 lassen vermuten, dass auch hier Jerusalem ursprünglich mit Häusern und Mauern in einer goldenen Farbtönung angedeutet war. In den folgenden fünf Miniaturen erscheint die Stadt ausformulierter als zeitgenössische Burganlage.

 

Das gilt bereits für zwei Miniaturen auf fol. 1v. Die erste zeigt die burgartige Stadt gerade einmal so hoch wie ein Engel davor, ähnlich wie fol. 1v. von MS Francais 1818. Er zückt verteidigungsbereit sein Schwert, dessen Spitze bereits die vergoldete Rahmung durchschneidet. Die Stadt, die er verteidigt, besteht aus einem Kirchenbau links und einem Stadttor als Triumphbogen rechts.

 

Die zweite Miniatur auf fol. 1v hat wieder einen roten Hintergrund, wie überhaupt die Abbildungen dieses Bandes mit einem roten oder blauen Hintergrund wechseln. Gezeigt wird der Versuch der Mönche, die an ihren Kutten zu erkennen sind, als Vögel in die Stadt einzufliegen. Sie haben keine Heiligenscheine, im Gegensatz zu dem rechtschaffenen Mönch in der Stadt. Die Stadt ist nun im Verteidigungsmodus, verdeutlicht durch Mauern mit Zinnen, einem Wehrturm links sowie einem geschlossenen Tor rechts.

 

Fol. 2r bringt auf der linken Spalte den nächsten Versuch, nun mittels einer Leiter in die Stadt zu gelangen. Ihre verschobenen Mauerteile und die Zinnenbekrönung, in zwei Schichten übereinander gelegt, sind ein hervorragendes Beispiel für den expressiven Ausdruck spätmittelalterlicher Kunst in Frankreich.

 

Die Miniatur der rechten Spalte des gleichen Blattes wechselt wieder in den roten Hintergrund, ihr Erhaltungszustand ist weniger gut als die Abbildungen zuvor. Mönche hängen sich hier an eine Kordel, um Mauer zu überwinden. Diese ist extrem niedrig, es wäre einfacher, sie zu überspringen. Es ist eine der wenigen Darstellungen, bei denen die Kordel nicht an der Mauer nach oben führt, sondern die Mönche untereinander verbindet, sie quasi gefangen nimmt und damit ihr Unvermögen zum Ausdruck bringt.

 

Abschließend wird Jerusalem nochmals auf fol. 2v präsentiert. Diesmal steht Petrus, hier als Mönch gekleidet, seinen Mitbrüdern gegenüber. Der Schlüssel zeigt an, dass der Zugang nur über ihn möglich ist. Die Mönche und anscheinend auch ein oder zwei Nonnen haben ihre krummen Versuche aufgegebenen, und schon zeigt sich Hoffnung: Die Zugangspforte in die Stadt ist nun bereits etwas geöffnet (wie auch auf MS Francais 1645, fol. 2r).

Twentieth report to the fellows of Pierpont Morgan Library, New York 1984, S. 17-19.
Michael William Camille: The illustrated manuscripts of Guillaume de Deguileville’s ‚Pèlerinages‘ 1330-1426, Cambridge University 1985.

 

tags: Guillaume de Digulleville, Morgan Library, New York, Gotik, Mittelalter, Roman, Spiegel, Schwert, Festung, Schloss
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