MS Bodl. 401: Apokalypsehandschrift (um 1350)

Ein der letzten englischen Apokalypsen des Mittelalters ist die Handschrift MS Bodl. 401, die in der Bodleian Library (Oxford) zu finden ist. Drei kleine Miniaturen, die dem zweispaltigen Text in Anglonormannisch zwischengeschoben sind, haben das Himmlische Jerusalem zum Thema. Auf fol. 63v sitzt Johannes auf einem Hügel rechts, während sich ihm gegenüber auf einem weiteren Hügel die Wolken öffnen.

Die heilige Sphäre ist von der irdischen durch ein breites Band getrennt, das durch wechselseitig versetzte Dreiecke in unterschiedlicher Farbe (hier ocker und blau) gestaltet ist. Was hier noch fehlt, ist die Stadt auf dem Hügel. Eigenartig: während eine Miniatur auf die Stadt vollständig verzichtet, bringen sie die folgenden in einer gewissen Monotonie.

Das Wolkenband findet sich auch auf dem folgenden Blatt fol. 64r in einer quadratischen Miniatur. Jetzt erscheint Christus in einer Mandorla. Die untere Hälfte dieser Miniatur ist durch eine gewaltige Stadterscheinung verdeckt. Sie fußt auf zwölf Schichten von Edelsteinen, ähnlich wie es fol. 81 in MS Français 13096 zeigt. Nach oben verjüngt sich das Fundament, dann die Stadtmauer. Diese besteht aus zwölf hohen und offenen Maßwerkfenstern (vgl. die zeitgleich erschienene Concordantiae Caritatis), deren zinnenbekrönter Abschluss in dem Wolkenband verschwindet.

Auf fol. 66r erscheinen in den erwähnten Maßwerkfenstern die zwölf Apostel. Gezeigt wird die Szene, in der der Engel (links hinter Johannes) mit dem Maßstab die Stadt ausmisst (Johannesoffenbarung Kap. 21, Vers 15-17). Er wird begleitet von einem weiteren, kleineren Engel auf der gegenüber liegenden Seite. Die Malereien haben viele Ungenauigkeiten und sind mehr Entwürfe; die Umrisse sind oftmals unscharf und die Proportionen ungenau. So besteht das Edelsteinfundament auf fol. 64r irrtümlich auf dreizehn Streifen, jetzt ist es auf zwölf korrigiert.

Fol. 68v bringt erneut die Stadt, wie wir sie bereits von den zwei vorangegangenen Miniaturen her kennen, offensichtlich sind dem Illustrator am Ende der Handschrift die Ideen ausgegangen, oder dem Auftraggeber das Geld. Wieder sind es zwölf Streifen, die das Fundament der Stadt ausmachen, dann die bekannten Bögen mit den flankierenden Engeln. Die Engelsfigur rechts und seine Begleitung (Johannes?) sind erschreckende Grotesken, ungekonnt und lieblos hingeschmiert. Möglicherweise war der Auftraggeber von diesen Ergebnissen so enttäuscht, dass die Fertigstellung dieser Apokalypse abgebrochen wurde. Die Farben dieser Miniatur sind heller und kräftiger als zuvor. Es handelt sich nicht um eine irrtümliche Farbskalierung der Bildaufnahme, sondern auch im Original wurden plötzlich andere Farben als zuvor benutzt. Entweder gingen die Farben aus und man traf nicht mehr die ursprünglichen Töne; oder die Ausmalung wurde einen längeren Zeitraum unterbrochen.

Ruth J. Dean, Maureen B. M. Boulton: Anglo-Norman literature. A guide to texts and manuscripts, Anglo-Norman Text Society, London 1999 (Occasional Publications Series, 3).
Nancy Lyn Ross: Forgotten revelation. The iconographic development of the Anglo-Norman verse and early prose Apocalypse manuscripts, Cambridge 2007.
Claus Bernet: Miniaturen des Mittelalters, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 28).

 

tags: Normannen, England, Bodleian Library, Oxford, Edelsteine, Spätgotik, Spätmittelalter
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