Auf diesem spätmittelalterlichen Triptychon werden ganz links einige wenige Gerettete in die Himmelspforte geleitet. Die Pforte steht offen, ihre goldene Tür ist nach außen aufgeschlagen. Unter der ebenfalls goldenen Laibung, die wie eine Kordel oder wie geflochten aussieht, steht der Heilige Petrus samt Schlüssel. Über ihm sieht man einige Köpfe von Menschen, die sich bereits ins Innere gerettet haben. Zwischen den Zinnen der Stadtmauer ragen nun vier spitze Keile nach oben – eine Besonderheit, die man von keiner zweiten vergleichbaren Schnitzarbeit her kennt. Vielleicht war ursprünglich hieran etwas befestigt, das verloren ging? Oder es handelt sich um Lanzen, womit sich die Bewohner des Himmlischen Jerusalem bewaffnet haben? So ungewöhnlich, wie es sich für modern-aufgeklärte Betrachter anfühlen mag, ist dies nicht; es gibt durchaus mittelalterliche und frühneuzeitliche Bilder des Neuen Jerusalem mit Bewaffneten (eindrucksvoll etwa von Biagio d’Antonio) – meist allerdings sind es Engel, die dieses Privileg hatten (im Mittelalter war es nicht jedermann gestattet, ein Schwert zu führen). Nach anderer Lesart sollen es die Strahlen einer Gloriole sein.
Man findet diesen Ausschnitt auf einem Triptychon im Chor der evangelischen Hauptpfarrkirche Sankt Marien in Salzwedel (Altmark). Dort befindet er sich in der unteren Reihe im rechten Bildfeld. Das Relief ist aus Holz, teilweise koloriert und vergoldet. Angefertigt wurde es um 1510, aus der Hand eines unbekannten Meisters; hinter vergleichbaren Arbeiten etwa in St. Marien in Stendal oder St. Marien in Bad Segeberg steht diese Schnitzerei keinesfalls zurück.
Werner Mezger: Kreuzigungsdarstellung auf dem Hochaltar der Pfarrkirche St. Marien in Salzwedel, in: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur, Konstanz 1991, S. 85-89.
Joachim Hackbart: Die St.-Marien-Kirche in der ‚Alten Stadt Salzwedel‘, in: Altmark-Blätter, 92, 1996, S. S. 9-11, 13-21.
Verena Friedrich: Salzwedel, St. Marien, Passau 2002.