Ukrainische Weltgerichtsdarstellung (um 1500) und moderne Kopien (21. Jh.)

Dieses kleine Detail von etwa 40 x 65 Zentimeter stammt von einer alten Ikone aus der Ukraine, genaugenommen aus einer orthodoxen Kirche oder einem Kloster aus Mshanets bei Turka, einer westukrainischen Stadt in den Waldkarpaten. Insgesamt hat die Weltgerichtsikone eine Größe von 187 x 134 Zentimetern. Sie basiert auf Temperafarben und entstand um 1500. Im 20. Jahrhundert kam sie im Zuge der Religionsverfolgungen in den Staatsbesitz der Sowjetunion und heute befindet sie sich im Andrey Sheptycky Nationalmuseum in Lemberg (Lwiw). Sie ist dort ein prominentes Beispiel für die Darstellungsweise des Neuen Jerusalem in der Ostkirche.

Die Stadt ist, wie seit der Antike üblich, auf dem Gemälde oben links zu finden, wo sie oben in roten kyrillischen Buchstaben benannt ist. Vor ihr hat sich eine Gruppe prominenter Heiliger versammelt. Viele sind Priester und tragen prächtige Gewänder, rechts sind sie mit Lanzen bewaffnet. Hinter ihnen erscheint die Dachlandschaft einer vielgliedrigen Stadtanlage, die aus verspielten Türmen besteht – eine Zeiterscheinung, die man bereits von dem Weltgericht von Alonso de Sedano her kennt. Die Bauten sind extrem eng aneinander gesetzt, sind alle in grün gehalten und haben eine helle, rote Dachfarbe. Hinten und auch rechts sieht man eine hohe Mauer in einer rosa Färbung. Vorne ist sie teilweise durch die Figuren verdeckt, und am linken Rand durch Abgang der Farbe verloren. Hinter den Figuren Maria und Jesus (am Kreuznimbus zu erkennen) steht ein hervorgehobener Bau mit einem sich verjüngendem Dach – vielleicht der zentrale Torbau der Stadt mit einer gänzlich schwarzen Pforte.

 

Die Popularität gerade dieser Ikone ist ungebrochen, sie wurde zu einem Symbol ukrainischen Nationalbewusstseins. Dafür stehen zwei moderne Kopien. Beide haben die linke, eigentlich verloren gegangene Seite der Stadt frei ergänzt. Die erste Kopie stammt von der Ikonenmalerin Malgorzata Pilecka Hilal, die ihr Atelier heute im Libanon führt. Die Arbeit wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts angefertigt, allerdings ohne die verspielten Einzelheiten der Dachlandschaft. Die linke Flanke der Stadtmauer, die im Original fehlt, ist hier gewissenhaft rekonstruiert worden.

 

Für den Kenner leichter als Kopie zu erkennen und auch als solche deklariert ist eine Ikone von Sofia Popovych. Sie fertigte die Kopie 2023 unter schwierigen Bedingungen in Lemberg an; vermutlich wird Popovych das Original gesehen haben. Zwar sind der ornamentierte Rahmen der Ikone als auch der hellgelbe (nicht goldene) Hintergrund neu. Eng an das Original halten sich aber alle Bauten des Neuen Jerusalem, deren Farbe und Proportionen 1:1 übernommen wurden. Auch das Schmuckband der Stadtmauer wurde nicht vergessen, die sich wie ein Hufeisen um die Bauten legt.

Літопис Національного музею у Львові імені Андрея Шептицького / відп. ред. О. Біла; відп. за вип. І. Кожан, Львів 2014.
Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).

 

tags: Weltgericht, Ukraine, Museum
Share:
error: