Richard Westall (1765-1836): Kupferstich zu „Pilgrim’s Progress“, Ausgabe 1820
Der englische Grafiker, Maler und Illustrator von Porträts, historischen und literarischen Ereignissen Richard Westall (1765-1836) war auch der Zeichenlehrer der späteren Königin Victoria. Bekannt wurde er für seine Porträts von Lord Byron. Weniger bekannt sind seine Illustrationsarbeiten für religiöse, literarische und geschichtliche Werke. 1820, auf dem Höhepunkt seines Schaffens, entwarf Westall für eine Londoner Neuausgabe von John Bunyans Roman „Pilgrim’s Progress“ 1820 einen romantisch angehauchten Kupferstich, der noch häufig verwendet werden sollte, was seine Beliebtheit unterstreicht (etwa in den Ausgaben der Jahre 1822, 1829 oder 1832). Meist findet man ihn als Frontispiz zum zweiten Teil, hier zwischen den Seiten 220 und 221. Gestochen wurde das Kunstwerk zur allegorischen Figur Gnade vor einer unscheinbaren Himmelspforte, die überwiegend von dunklen Wolken eingehüllt ist. Es ist eine Arbeit, die der Amerikaner William D. Smith gestochen hat, der sich an Werken von William M. Craig oder Henry Corbould, die diese Szene schon zuvor illustriert hatten.
Hier liegt die Aufmerksamkeit ganz auf dem dramatischen Geschehen. Die zwei horizontalen Stufen korrelieren mit der Gnadenfigur am Boden, der Pilaster mit der stehenden Christusfigur. Diese strahlt aus sich selbst heraus, während es außerhalb der Pforte dunkel und finster ist, im rechten Hintergrund sogar ein Gewitter niedergeht. Das weiße Gewand der Gnadenfigur hebt sich vom dunklen Hintergrund so ab wie konträr das dunkle Gewand der Christusfigur vom gleißenden Licht um die Pforte, das so hell erstrahlt, dass weitere Einzelheiten unsichtbar bleiben müssen. Nicht ganz jedoch: Auf dem gekonnten Kupferstich finden sich nämlich noch drei weitere Figuren! In der Tiefe der Pforte lehnen zwei Frauengestalten an der Wand, eng aneinander geklammert. Und weit draußen, in der Dunkelheit der Nacht, zeichnen sich unter dem Blitz die Umrisse einer Gestalt ab.
Claus Bernet: „The Pilgrim’s Progress“ von John Bunyan, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 24).
