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Mittelalterliche Miniaturen aus „Liber Scivias“ der Hildegard von Bingen (1160-1170)

Hildegard von Bingen (1098-1179) war eine Benediktinerin und gilt heute vielen als die zentrale weibliche Vertreterin der deutschen Mystik des Mittelalters. Während lange Zeit Hildegard von Bingen nur wenigen Germanisten bekannt war, ist ab etwa 1980 ein regelrechter Hildegard-Kult entstanden, der sie als Feministin, als Heilerin und als heimliche Verfechterin paganer-esoterischer Vorstellungen verehrt und verkennt. Letzter Höhepunkt war die Erhebung Hildegards zur römisch-katholischen Kirchenlehrerin durch Papst Benedikt XVI. am 7. Oktober 2012.
Ihr Hauptwerk ist „Liber Scivias Domini“ (Wisse die Wege des Herrn). Nur sehr wenige dürften es gelesen haben, viele kennen aber die weltberühmten Illustrationen. Es wurde zwischen 1141 und 1151 geschrieben. Die Originalhandschrift gilt seit Ende des Zweiten Weltkriegs als verschollen, in der Eibingener Abtei ist heute eine illuminierte Kopie aus den Jahren 1160/70 zu besichtigen. Das hier gezeigte „Gebäude des Heils“ (fol. 130v) besteht aus mehreren Teilen, deren Addition ein Quadrat ergibt. Man kann einige Mauerkränze sowie mehrere Türme und im unteren Bereich einen Fluss erkennen. In der oberen Ecke des Quadrats thront Christus mit einem leeren Schriftband. In der linken Ecke ist ein mehrflügeliger Wächterengel angebracht, und an der rechten Ecke ist das im Mittelalter beliebte Motiv der Himmelsleiter aufgenommen.

 

Des Weiteren befindet sich auf fol. 25 ein Ausschnitt aus der Miniatur „Die Seele verlässt ihr Zelt“, die eine Gerichtsszene mit Geretteten und Verworfenen zeigt. Die Geretteten in goldenen Gewändern drücken sich in einem Turm mit drei Eckpfeilern eng zusammen. Die etwas höher gestellte, zentrale Gestalt hält eine Lilie (oder einen Schlüssel? Zepter? Pilgerstab?) in der Hand und ist durch den rot leuchtenden Eckpfeiler, der wohl einen Thron markiert, hervorgehoben.

Josef Schomer: Die Illustrationen zu den Visionen der hl. Hildegard als künstlerische Neuschöpfung, Bonn 1937.
Hildegard von Bingen: Scivias. Wisse die Wege. Nach dem Originaltext des illuminierte Rupertsberger Kodex, Salzburg 1954.
Lieselotte Saurma-Jeltsch: Die Miniaturen im ‚Liber scivias’ der Hildegard von Bingen, Wiesbaden 1998.
Alfred Haverkamp (Hrsg.): Hildegard von Bingen in ihrem historischen Umfeld. Internationaler wissenschaftlicher Kongress zum 900-jährigen Jubiläum, Mainz 2000.
Tilo Altenburg: Soziale Ordnungsvorstellungen bei Hildegard von Bingen, Stuttgart 2007. 

 

tags: Benediktiner, Kloster, Romanik, Mystik
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