Vincenz Pieper (1903-1983): Fenster der Klosterkirche in Haselünne (1966)

Die römisch-katholische Klosterkirche in Haselünne (Emsland) wurde im 17. Jahrhundert durch holländische Klarissen erbaut. Nach der Zerstörung aller ihrer Fenster im Zweiten Weltkrieg haben die Fensteröffnungen zunächst nur eine Notverglasung aus getöntem Gussglas erhalten, bis zur Neuverglasung 1960/1966 nach Entwürfen des Malers und Kunstpädagogen Vincenz Pieper (1903-1983) aus Münster. Die drei Fenster im Altarbereich sind allesamt aus farbigem Antikglas hergestellt, das Glas konturiert und gebrannt, mit Seidenglanz mattiert und bleiverglast. Diese Fenster zeigen die himmlische Sphäre. Dort findet man auf dem mittigen Fenster die heilige Stadt Jerusalem mit ihren zwölf Toren, in der nach biblischer Verheißung „viele Wohnungen sind“ (Johannesevangelium Kap. 14, Vers 2). Es sind in Haselünne mehr als zwölf Tore, die hier in Dreier- und Vierergruppen übereinandergesetzt wurden, so dass optisch ein Trapez entstanden ist. Vier Tore bilden das Fundament, wo ein weißer Farbkeil durch das Bild läuft. Darüber wurden von Pieper zwölf weitere Tore gesetzt. So entsteht ein einheitlicher Block, verbunden durch seine grüngelbe Färbung. Im unteren Bereich besteht der Hintergrund aus weißen Glasscheiben, im oberen aus blauen Glasscheiben.

Sicher hatte Pieper, der auch theologisch versiert war und kunsttheoretisch arbeitete, eine Idee, weshalb hier sechzehn Tore vereint sind (vgl. die Grafik von Hendrik Wiegersma) – leider hat er sich selbst dazu an keiner Stelle geäußert und gibt damit Raum für Interpretation und Spekulation. Meine Erklärung: Die unteren vier Tore sind die alte Schöpfung, die zwölf Tore darüber die neue Schöpfung. Bei meiner Besichtigung wurde eine weitere Erklärung ins Spiel gebracht: Oben befindet sich mit zwölf Toren das Himmlische Jerusalem, unten mit vier Toren das irdische Jerusalem in Palästina. Solche Mehrdeutungen sind nicht „Unklarheiten“ des Künstlers, sondern sprechen für die Qualität seiner Arbeit, die zum Denken anregt und für verschiedene Sichtweisen offen ist. Menschen, die nur eine Sichtweise gelten lassen und die Welt in „richtig“ und „falsch“ einteilen, haben mit solchen Werken Schwierigkeiten.

Festschrift anläßlich des 250-jährigen Jubiläums der Klosterkirche, Haselünne 1980.
Bernhard Vehring: Die Klosterkirche, in: Haselünner Heimatfreund: Informationsblatt des Heimatvereins Haselünne e.V., 20, 2018, S. 13-20.
Claus Bernet: Kirchenfenster und Glasarbeiten, Teil 3, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 26).

 

tags: Klarissinen, Kloster, Niedersachsen, Vincenz Pieper
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