Ein süddeutsches Beispiel für ein Jerusalems-Tympanon ist das Westportal der Pilgerkirche St. Salvator in Nördlingen, welches auf die Zeit um 1420 datiert wird. Es ist ganz anders als das kurz zuvor im nahe gelegenen Esslingen entstandene Werk am dortigen Tympanon (Frauenkirche, um 1405). Vermutlich handelt es sich, laut Fachliteratur, in Nördlingen um den gleichen Baumeister wie bei dem ebenfalls um 1420 entstandenen Himmlischen Jerusalem an der Würzburger Marienkapelle. Es thematisiert ein Weltgericht, und wie üblich findet man die Gottesstadt als gotischen Kirchenbau am linken Rand, einer Höllendarstellung rechts gegenübergestellt (hier nicht zu sehen). Vor allem die Figur des Papstes (an seiner Tiara gut zu erkennen, die auf keiner Papstdarstellung bei einem Himmlischen Jerusalem fehlen darf), die in Würzburg wie in Nördlingen der Schar Geretteter selbstbewusst voranschreitet, ist bis ins Detail identisch. Hier ist es anscheinend der Apostel Petrus, der als erster der Papstreihe gesehen wurde, und der auf dieser Darstellung mit dem Schlüssel gerade die Himmelspforte öffnet. Ihm gegenüber fällt sogar eine Person demütig auf die Knie – eine Pose, die ich von keiner anderen Torszene her kenne. Die Gräber sind in Nördlingen aus Platzgründen etwas weiter nach rechts gerückt und befinden sich bereits unter der zentralen Christusfigur.
Beachtenswert ist noch der reichhaltige spätgotische Fischblasenschmuck der Pforte. Die Biforienfenster und die Brüstung sind bereits dem Flamboyantstil zuzuordnen. Ganz oben, wo wenig Platz ist, hat der Steinmetz dennoch nicht auf die Einfügung einer Engelsfigur verzichtet.
Gustav Adolf Zipperer: Die katholische Pfarrkirche Sankt Salvator in Nördlingen, Nördlingen 1970.
Elmar D. Schmid: Nördlingen, die Georgskirche und St. Salvator, Stuttgart 1977.
Peter Rummel: St. Salvator in Nördlingen, in: Verein für Augsburger Bistumsgeschichte: Jahrbuch, 32, 1998, S. 10-27.
Claus Bernet: Das Himmlische Jerusalem in Deutschland, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 27).