Das Himmlische Jerusalem schwebt über einen spitzen Berg, eine Art Vulkan, in dem die Verworfenen in ewigen Qualen schmoren. Im Gegensatz zu dem dunklen Ort im Vordergrund ist die Stadt ganz vom Licht durchflutet, ein halber Strahlenkranz geht von ihr aus bis an den oberen Bildrand. Derartige Effekte im Chiaroscuro beherrschte Redon, dem es vornehmlich um suggestive Eindrücke und nicht um theologische Botschaften ging, meisterlich. Dass er zuvor in den Niederlanden das Werk Rembrandts studiert hatte, wird hier besonders deutlich.
Die Stadtmauer ist durch mehrere annähernd quadratische Felder strukturiert, ob es Tore sind, bleibt offen. Im Inneren sind schräge und runde Bauteile einer Architektur angedeutet.
Das Bild ( (30 x 23 Zentimeter) mit dem Neuen Jerusalem ist die vorletzte Lithographie der 13-teiligen Serie „Apocalypse de Saint Jean“, die der französische Künstler Odilon Redon (1840-1916) unter dem Eindruck der Jahrhundertwende geschaffen hat. Er war als Katholik aufgewachsen, hatte aber seine Probleme mit der Kirche. Als wichtiger Vertreter des Symbolismus hat er sich immer wieder mit Visionen, Träumen, magischen Erscheinungen künstlerisch auseinandergesetzt, wie es in der Kunst seiner Zeit Thema war. In den 1890er Jahren widmete er sich verstärkt auch biblischen Themen, wenngleich ganze Serien, wie die zur Apokalypse, Ausnahme blieben. Die Serie erschien dann erstmals in einer Auflage von einhundert Drucken in Paris beim Verlag Blanchard. Bis heute haben sich weltweit Exemplare in vielen öffentlichen Museen erhalten, beispielsweise in New York, Des Moines, Genf, Paris, Kagoshima, oder, wie hier, aus dem British Museum London (Inventarnummer 1949,0411.3574).
Véronique Behaeghel: L’Apocalypse d’Odilon Redon, Paris 1983.
Douglas W. Druick (Hrsg.): Odilon Redon, Prince of dreams, New York 1994.
Christine Smith: Before and after the end of time. Architecture and the year 1000, Harvard 2000.
The graphic works of Odilon Redon. 209 lithographs, etchings and engravings, Mineola 2005.
Margret Stuffmann (Hrsg.): Odilon Redon. Wie im Traum, Ostfildern 2007.