Zwischen 1470 und etwa 1485 wurde die Guild-Chapel of the Holy Cross zu Stratford-upon-Avon in Warwickshire mit einer monumentalen Gerichtsszene über dem Bogen des Altars ausgemalt. Es ist heute eine der größten dieser Darstellungen in Großbritannien, die sich aus dem Spätmittelalter erhalten hat.
Die Gilde des Heiligen Kreuzes, die ihren Ursprung in Jerusalem sah, war eine mittelalterliche religiöse Mitgliederstiftung. Diejenige Gilde in Stratford-upon-Avon wurde zu einer mächtigen gesellschaftlichen Kraft, die die umfangreichen Ausmalungen finanzierte und thematisch mitbestimmte. Gezeigt wird oben links auch das Neue Jerusalem. Dessen Bauten lassen sich heute aufgrund der starken Altersschäden kaum mehr erkennen. Einst war es ein Überfülle an Häusern, die übereinander gesetzt fast die gesamte linke Seite ausfüllten. Derartige Häusermeere waren in England beliebt, man findet sie auch in Salisbury oder in der Abtei von Waltham. Vor der Stadt erwachen die Toten gerade aus den Gräbern, für die damaligen Menschen ein hoffnungsvolles Zeichen. Einer der Toten ist anhand einer Tiara als Papst auszumachen.
Nach der englischen Reformation wurde die Kirche 1563 von John Shakespeare (um 1530-1601), dem Vater des Dichters, vollständig geweißt. 1804 wurden zufällig bei Bauarbeiten von Thomas Fisher die Farbwandmalereien entdeckt und 1955 freigelegt.
Clifford Davidson: The Guild Chapel wall paintings at Stratford-upon-Avon, New York 1988.
Gervase Rosser: The art of solidarity in the Middle Ages: Guilds in England 1250-1550, New Haven 2015.
Heute stehen freilich technisch ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung als noch 1955. Das Unternehmen Heritage Technology Ltd. aus York rekonstruierte die Fresken in 3D. Jetzt kann man auch von dem Himmlischen Jerusalem hier mehr erkennen als von dem Original! Das umfangreiche archäologische Untersuchungsprogramm, das zu Beginn des 21. Jahrhunderts vom Department of Archaeology der University of York durchgeführt wurde und die innovative digitale Modellierung nutzte, würdigte abschließend die Kapelle als „eine der wichtigsten erhaltenen spätmittelalterlichen Gilde-Kapellen in Europa“. Motiv der digitalen Rekonstruktion war, den Inhalt des Freskos für die Zukunft zu retten, da das Original trotz einer Restaurierung 2016 weiter zerfällt.
Beitragsbild: Peter K Burian, GUILD CHAPEL medieval wall paintings 8018, CC BY-SA 4.0