Tympanon der St. Annenkapelle (um 1331) und Sankt Marien-Kirche (um 1344), Marienburg

Das Tympanon im Nordportal der St. Annenkapelle in der Vorburg der Marienburg in Ostpreußen zeigt, wie zu erwarten, eine Krönung der Heiligen Anna. Unter der eigentlichen Krönungsszene wurde rechts ein Relief mit der Hölle und links ein Relief mit dem Himmlischen Jerusalem angebracht. Von den sechs Figuren ist die erste ein Engel, die übrigen sind wahrscheinlich Heilige, die Abendmahlskelche tragen, oder die fünf klugen Jungfrauen mit ihren Leuchten. Links ist der Eingang in die Himmelsstadt als einfache Pforte angedeutet. Ungewöhnlich ist die rote und türkisfarbene Bemalung, in der auch das übrige Tympanon gefasst ist.

 

Wahrscheinlich wurde vom gleichen Baumeister wie der Marienburger St. Annenkapelle zeitgleich oder unmittelbar danach ein weiteres Tympanon mit einem Jüngsten Gericht geschaffen. Die im Jahr 1344 geweihte Kirche der Ordensburg Marienburg wurde unter Dietrich von Altenburg zur Sankt Marien-Kirche erweitert. Der Ausschnitt zeigt hier eine Gruppe Geretteter, links eine einfache Himmelspforte und rechts einen Engel, der drohend sein Schwert in Richtung Hölle erhebt. Eine Besonderheit der Darstellungen des Himmlischen Jerusalem dürfte die Person in der Mitte der Figurengruppe sein, die anhand des Hutes als Jude gekennzeichnet ist, vielleicht ein Priester oder Prophet aus dem Alten Testament. Ob damit eine ungewöhnliche Religionstoleranz oder eine Vereinnahmung des Judentums verbunden ist, muss offen bleiben. Jedenfalls ist es unter tausenden mittelalterlichen Darstellungen des Jüngsten Gerichts eine der wenigen mit einem geretteten Juden, vgl. dazu den Psalterium Feriatum (um 1240). 
Die St. Annenkapelle unterhalb des Chors der Marienkirche, vom Burggraben des Hochschlosses aus zugänglich, hatte bis 1945 die Funktion einer Krypta für die sterblichen Überreste der Hochmeister des Deutschen Ordens. Als Westwand diente die alte Außenmauer des ersten Konventhauses. Mit dem Bau begann man 1331 und zehn Jahre später wurde der erste Hochmeister, Dietrich von Altenburg, hier begraben, unter dem dieses Kunstwerk geschaffen wurde. An diesem prominenten Ort war es sicher Vorbild für weitere solcher Darstellungen im Ordensgebiet.

Bernhard Schmid: Die Marienburg. Ihre Baugeschichte, Würzburg 1955.
Szcze̜sny Skibiński: Kaplica na Zamku Wysokim w Marlborku, Poznań 1982.
Mariusz Mierzwiński, Wacław Górski: Marienburg: Das Schloß des Deutschen Ordens, Bydgoszcz 1993.
Claus Bernet: Gemacht für die Ewigkeit: Steinwerke des Himmlischen Jerusalem, Norderstedt 2013 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 8).

 

Textbild: Lvova Anastasiya (Львова Анастасия, Lvova), Castle in Malbork, relief in the church, CC BY-SA 3.0

tags: Ostpreußen, Mittelalter, Tympanon, Weltgericht, Judentum, Krypta
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