Die Darstellungsform des Lämmerfrieses, mit Jerusalem und Bethlehem zwischen vier, sechs oder zwölf Lämmern, war keineswegs auf das spätantike Rom begrenzt. Das älteste, bekannteste und vielleicht auch schönste Beispiel für einen Lämmerfries außerhalb von Rom findet man in der römisch-katholischen Basilika San Vitale in Ravenna. Die Kirche, 547 dem Heiligen Vitalis geweiht, zählt zu den bedeutendsten Bauten der spätantik-frühbyzantinischen Zeit. Hier, im einzigen Zentralbau unter den frühchristlichen Kirchen Ravennas, verbanden sich Architekturformen aus dem Oströmischen Reich mit für das damalige Italien typischen Bautechniken. Der überwältigende Eindruck der Mosaiken der Kirche, die sich über Wände, den Boden und Decken ziehen, beruht vor allem auf ihrer Farbenpracht. Im Gegensatz zu anderen Darstellungen, die über die Jahrhunderte häufig ihre Farbintensität verloren haben, bestehen die Mosaiken aus farbechten (Halbedel-)Steinen, die in der Dämmerung der Kirchen ihre Leuchtkraft über Jahrtausende bewahren. Bei den goldenen Tesserae wurde echtes Blattgold verwendet, das zwischen zwei Lagen Glas eingebettet wurde.
Die Apsisstirnwand trägt neben einem Paar Engel Darstellungen der himmlischen Städte Jerusalem und Bethlehem. Jerusalem befindet sich links oben am Triumphbogen und ist Dank der Beschriftung eindeutig als Jerusalem ausgewiesen. In der Gestaltung ist es von dem älteren Mosaik in S. Maria Maggiore in Rom abhängig. Beide Mosaike zeigen Bauten der Stadt über einer extrem hohen Mauer (bzw. lediglich die Dächer der Bauten), dann ein schmales halbrundes Tor, welches offen steht, und eine mit Perlen und Edelsteinen geschmückte Stadtmauer.
Otto G. von Simson: Sacred fortress. Byzantine art and statecraft in Ravenna, Princeton 1987.
Cetty Muscolino, Livia Alberti: Alcune osservazioni sulla tecnica di esecuzione dei mosaici parietali dell’abside della basilica di S. Vitale a Ravenna, in: Quaderni di Soprintendenza, 5, 2001, S. 76-83.
Gianfranco Malafarina (Hrsg.): La Basilica di San Vitale a Ravenna, Modena 2006.
Beitragsbild: Gianni Careddu, Ravenna, basilica di San Vitale (084), CC BY-SA 4.0