Weltgericht aus Holz aus Vesene (1475-1500)

Darstellungen des Himmlischen Jerusalem aus Holz haben Seltenheitswert. Im Mittelalter muss es sie öfters gegeben haben, denn solche Schnitzereien waren schneller und preiswerter anzufertigen als Kunstwerke aus Sandstein oder Marmor. Allerdings haben nur sehr wenige solcher Holzkunstwerke die Feuersbrünste und Holzwurmattacken der Jahrhunderte überlebt. Eines ist das Weltgericht aus Vesene. Vesene liegt im südwestlichen Teil der Gemeinde Herrljunga in Västergötland.
Das Kunstwerk entstand zwischen 1475 und etwa 1500 in Südschweden. Es ist aus bemaltem Eichenholz geschnitzt. Spuren der einstigen Bemalung, vor allem rote und grüne Farbpigmente, haben sich erhalten. Das schwer zu bearbeitende Material hielt den Künstler vielleicht davon ab, Jerusalem als vielgestaltige Stadt mit Toren, Türmchen und anderen Details darzustellen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich ursprünglich eine weitere Szenerie des Himmlischen Jerusalem links anschloss, die heute verloren ist. Die Stadt ist mit dem schmalen Torturm zurückhaltend repräsentiert und kann optisch kaum mit dem schweineartigen Höllenwesen der gegenüberliegenden Seite konkurrieren. Die Schnitzerei gehört zu der großen Gruppe der Torszenen, bei denen ein einzelnes Tor pars pro toto für das Himmlische Jerusalem steht. In die Himmelspforte drängen sich zahlreiche nackte Menschen, die gerade aus den Gräbern unten gekrochen sind. Die Gestaltung der Figuren hat das Hauptaugenmerk des anonymen Bildhauers eingenommen, die Pforte ist mit einer roten Schmucklinie und zwei roten Fenstern bescheiden ausgestattet. Vorbild waren hier zeitgenössische Freskenmalereien mit solchen Türmen, wie etwa in Rinkaby.
Interessanterweise besteht das Kunstwerk aus zwei Holzpaneelen, die genau die himmlische von der höllischen Sphäre trennen. Das Werk mit den Maßen 87 x 79 Zentimeter war einst Teil eines größeren Altarbildes und hängt heute an der nördlichen Wand der Kirche links vor dem Altar. Es ist definitiv nicht sein ursprünglicher Standort, denn im Mittelalter war die Wand hinter dem Kunstwerk mit biblischen Szenen bemalt.

Claus Bernet: Torszenen, Himmelspforten, Porta Coeli, Norderstedt 2014 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 11).

 

Beitragsbild: Rikard Ågren, Vesene kyrka trärelief, CC BY-SA 3.0 

tags: Västergötland, Schweden, Holz, Weltgericht, Torszene, Spätmittelalter, Skulptur
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