Johann Wilhelm Petersen: Schrift „Offene Thüre“ (1718)

Der farblose Stich ist der apokalyptischen Schrift „Offene Thüre“ (Franckfurt am Mayn 1718) des Pietisten Johann Wilhelm Petersen (1649-1727) entnommen. Schon zuvor war ein Werk seiner Frau Johanna E. Petersen erschienen, die ebenfalls das Neue Jerusalem zeigte.
Die Schrift „Offene Thüre“ steht in einem inneren Zusammenhang mit seinem unmittelbar darauf erschienenem Werk „Das Geheimniß der sieben Posaunen“ (1719). Es handelt sich um eine der wenigen Darstellungen aus dem Umkreis des radikalen Pietismus, die das Himmlische Jerusalem zum Thema hat. Die Zeit ist erfüllt, der Vorhang ist beiseite geschoben: Wir dürfen teilhaben an den letzten Dingen. Die Gottesstadt wird nicht, wie üblich, von außen gezeigt, sondern der Betrachter oder die Betrachterin befindet sich bereits selbst im Heiligtum und darf beobachten, wie Christus und ein Engel die ersten Menschen einlassen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur sonst präferierten Betrachtungsweise, bei welcher der Blick von außen auf die Stadt fällt.

An den zwei Pilastern und am Architrav finden sich insgesamt sieben Medaillons, die alle in einem Zusammenhang mit apokalyptischen Vorstellungen stehen. Diese Medaillons erinnern an Schraubtalereinlagen, bei denen meist mehrere, aufklappbare, runde Graphiken in eine kreisförmige Metallkapsel eingelegt wurden. Auf den Medaillons sind wesentliche Allegorien der architectura sacra dargestellt: die Arche Noah, der Tempel Salomon und erneut eine Darstellung des Himmlischen Jerusalem, diesmal in der herkömmlichen Perspektive von außen. Wir haben es also mit einem sich selbst referierenden Bild im Bild zu tun.
Petersen, der den Auftrag zu diesem Stich gegeben hat, war dabei eng von seinem Anreger und Gegner Heinrich Horche (1652-1729) geprägt. Beide entwarfen endzeitliche Konzepte, die sowohl auf ihre eigene Zeit als auch auf biblische Vorbilder bezogen waren, hier vor allem auf Matthäusevangelium Kap. 24, Vers 33 zur zweiten Wiederkehr Christi: „Also wißt auch, wenn ihr dies alles seht, daß es nahe vor der Tür ist“.

 Stefan Luft: Leben und Schreiben für den Pietismus, Herzberg 1994.
Marcus Meier: Horch und Petersen: Die Hintergründe des Streits um die Apokatastasis im radikalen Pietismus, in: Pietismus und Neuzeit, 32, 2006, S. 157-174. 

 

tags: Pietismus, Pforte, Barock, Kupferstich, Radikalpietismus
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