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Sinold von Schütz (1657-1742): „Die glückseeligste Insul“ (1723)

Die Stadt auf dem Kupferstich zwischen den Seiten 190 und 191 der Ausgabe von 1723, bzw. zwischen den Seiten 137 und 138 der Ausgabe 1728, ist als Quadrat mit vier mittigen Zugängen angelegt. Zwei Kirchen (im Bild links oben und rechts unten) und Schulen stehen in den jeweiligen Ecken der Stadtmauer, weil es dort laut Text am ruhigsten ist. Theater oder Opernhäuser gibt es nicht, Festlichkeiten oder gar Lustbarkeiten sind strengstens untersagt. Die schachtelartigen Bauten um die „Wohnung der Gerechtigkeit“ (nach Jeremia Kap. 31, Vers 23 der Berg Zion oder Jerusalem) in der Stadtmitte sind schmale, hohe Wohnhäuser, die in ihrem Innenhof parzellierte Gärten beherbergen. Bäume sind jedoch in der Stadt nicht erlaubt (nicht einmal der Baum des Lebens oder der Baum der Erkenntnis!), sondern finden sich erst außerhalb der Stadtmauern. Wie alles in dieser Utopiestadt ist auch die Natur einer strengen geometrischen Ordnung unterworfen. Dem Bild nach scheint die Stadt oblong zu sein, der Text beschreibt sie als Quadrat. Vor dem Stadttor sind unten zwei Personen zu sehen: Pilger, die am Lebensabend das Ziel ihrer Reise erreicht haben.
Constantin von Wahrenberg, der Verfasser von „Die glückseeligste Insul“, ist der Arkanname des Philipp Balthasar Sinold von Schütz (1657-1742).
Sein Text erschien Anfang der zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts, dann erneut 1728 unter dem Pseudonym, „Faramundus“ (Faramond): dem Namen von Sinold von Schütz innerhalb der „Fruchtbringenden Gesellschaft“. Die Erstauflage von 1723 war zwar klein, doch schnell wurde der an sich spannende Roman zu einer erfolgreichen Utopieschrift. Ab 1727 stand Sinold von Schütz für fünfzehn Jahre als Geheimrat im Dienst der Grafen von Solms in Laubach (Wetterau), zu einer Zeit, als auch der Graf Nikolaus von Zinzendorf (1700-1760), der Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, dort tätig war. Beide kannten sich persönlich, und Sinold von Schütz könnte durchaus Bewohner von Herrnhaag kennen gelernt haben. Herrnhaag wurde nach dem Vorbild des Himmlischen Jerusalem angelegt. Es ist gut möglich, dass seine Utopieschrift den Aufbau von Herrnhaag mit beeinflusste.

Ludwig Stockinger: Ficta Respublica, Tübingen 1981.
Jean Starobinski: Die Erfindung der Freiheit. 1700-1789, Frankfurt a. M. 1988. 

 

tags: Utopie, Herrnhaag, Brüdergemeine, Kupferstich
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