Einen der ungewöhnlichsten Bezüge zum Himmlischen Jerusalem schuf der Schweizer Maler Karl Imfeld (geb. 1953) im Jahr 1995 im Gemeindehaus Ahrensburg (Schleswig-Holstein) in der dortigen Freien Evangelischen Gemeinde (FeG). Es entstand eine durchdachte Raumgestaltung mit vielen Besonderheiten. Weiße Wände schließen den Altarraum mit dem Ambo und dem Altartisch ab, beides ebenfalls Arbeiten von Imfeld. In etwa der Mitte öffnet sich die Wand einen Spalt breit, nur etwa einen halben Meter, wenn der Türflügel geöffnet ist. Hinter dem Spalt öffnet sich ein kleiner Raum, der an das Heiligtum im Tempel Israels erinnern soll, der nur von Priestern betreten werden durfte. An der Wandseite des Spalts wurde das Gemälde „Himmlisches Jerusalem“ aufgestellt. Es ist wie eine Säule oder ein Pilaster relativ schmal und zieht sich nach oben bis fast an die Abschlusskante der Decke. Ein blauer Grundton suggeriert das Meer oder den Himmel. Im unteren Bereich ist mit roter Farbe ein Feuer oder die untergehende, alte Welt angedeutet. Das eigentliche Jerusalem ist im oberen Bereich zu sehen, zumindest teilweise. Ein vergoldetes Viereck, welches quer zur Wand steht, symbolisiert die himmlische Stadt. Es ist, genaugenommen, eine Halbplastik, denn die untere Ecke der Stadt kragt wenige Zentimeter nach außen.
In diesem Zustand sehen nur diejenigen auf den Sitzplätzen vor der Installation das Himmlische Jerusalem, nicht aber die Besucher, die an den Seiten Platz genommen haben. Allerdings liegt das Bild genau in der Blickachse des Eingangs. So hat jeder Besucher, wenn er aufmerksam ist, beim Betreten des Raumes das Himmlische Jerusalem vor sich. Etwas anders ist es, wenn die linke Wand wie ein Tür zur Seite gedreht ist: Nun ist auf einmal vom Eingang aus das ganze Himmlische Jerusalem zu sehen, und auch mehr Besucher an den Seiten sehen etwas von dem Gemälde. Auf eine weitere, raffinierte Besonderheit sei ausdrücklich hingewiesen: Vom Kunstwerk gehen am Boden Metallbänder aus und ziehen sich durch die Fließen in den ganzen Raum. Dies kann mehrfach interpretiert werden. Vielleicht sind es die Lebenswege der Gläubigen, die zu der Stadt führen, vielleicht sind es aber auch die Lichtstrahlen aus der Stadt, die im Leben der Gläubigen wirken.
Der Künstler Karl Imfeld wurde 1953 in Lungern bei Luzern geboren. Seine Holzbildhauerlehre hat Imfeld in diesem Bildhauerdorf gemacht. Später folgten ein Studienaufenthalt bei Remo Rossi (1909-1982) in Locarno und eine Weiterbildung an der Kunstakademie Wien bei Fritz Wotruba (1907-1975). Die Freude an der Schöpfung und Imfelds positives Glaubensbild spricht aus vielen seiner Werke. Über endzeitliche Themen sagte er: „Die künstlerische Konfrontation mit dem Problem des Todes zwang mich, ganz neu über mein Leben nachzudenken und zum ersten Mal in der Bibel zu lesen“. Imfeld versteht sich heute bewusst als Christ, und biblische Zusammenhänge spielen für sein Schaffen eine zentrale Rolle.
FrG Ahrensburg (Hrsg.): Den sakralen Raum verstehen – ein Gang durch den Gemeindesaal der Freien evangelischen Gemeinde Ahrensburg, Ahrensburg, um 2020.
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