Brunnen eignen sich durchaus zur Präsentation des Himmlischen Jerusalem – dennoch sind die Beispiele rar, eigentlich sehr rar, denn es gibt aus späterer Zeit allein den Stadtbrunnen in Kitzingen. Erhalten hat sich aus dem Mittelalter ein Brunnen einer Fontäne, die ein französisches Kloster im Languedoc zierte. Vermutlich befand sich der Brunnen einst in der Mitte des Kreuzgangs. Der runde Brunnen ist vollständig aus Marmor und an seiner Außenseite mit zwölf Halbsäulen geschmückt. Dazwischen hat man sich die rundbogigen Zugänge in das Himmlische Jerusalem vorzustellen. Aus seiner Mitte entspringt bekanntlich der Lebensfluss aus dem Neuen Testament, das Korrespondent zu den vier Paradiesflüssen aus dem Alten Testament, was durch das echte Wasser des Brunnens eindrucksvoll den Mönchen oder Nonnen täglich vor Augen geführt wurde. Überhaupt muss man sich dieses Werk in einem Garten vorstellen und das Plätschern des Wassers hören, die Aufnahme aus einem Innenraum kann diese Sinneseindrücke nicht wiedergeben.
Wie in vielen mittelalterlichen Bauten legte der anonyme Steinmetz oder der Auftraggeber Wert darauf, dass jedes Kapitell anders ornamentiert ist, man findet also unterschiedliche geometrische und vegetabile Formen in der Kapitellzone, während die Basen der Halbsäulen gleich sind.
Der Brunnen stand einst in dem Priorat Saint Michel de Grandmont (Okzitanien), das zum Orden der Grandmontiner gehörte und noch heute als Kloster dient. Das Kunstwerk, welches aus der Erbauungszeit der Anlage im späten 12. Jahrhundert stammt, wurde 1960 vom Museum Louvre (RF 2837) erworben und ist seit 1964 an das Pariser Musée national du Moyen Âge, auch bekannt unter seinem vorherigen Namen Musée de Cluny, verliehen.
Jules Renouvier: Histoire, antiquités et architectonique de l’église de Lodève et du prieuré conventuel de Saint-Michel-de-Grandmont, Montpellier 1839.
Jean-Marie Pérouse de Montclos: Le guide du patrimoine. Languedoc, Roussilon, Paris 1996, S. 510-512.
Gilles Bresson: Monastères de Grandmont, guide d’histoire et de visite, Le Château-d’Olonne 2000.