Innerhalb der armenischen Kirche bildete sich eine Präsentation des Neuen Jerusalem heraus, die anhand ihrer Merkmale schnell erkannt werden kann. Eine der frühen Fassungen ist die Lemberger Bibel aus dem Jahr 1619, die im Kunstmuseum Matenadaran in Jerewan, dem Zentralarchiv für alte armenische Handschriften, aufbewahrt wird (Signatur MS 351). Fol. 560v bringt unter einigen Versen des Kapitel 21 der Johannesoffenbarung eine Darstellung des Neuen Jerusalem, in einem abwechslungsreichen, üppigen Rahmen mit geometrischen Ornamenten, was typisch für armenische Manuskripte des 17. Jahrhunderts ist.

Von der Komposition her ist die Illustration, geschaffen von Ghazar Baberdatsi, deutlich an den Kupferstichen von Vitam Aeternam ausgerichtet, vornehmlich an Johan (Johannes) Sadeler I und Adriaen Collaert. Charakteristisch ist vor allem der Zackenfries im unteren Bereich, der an Flammen erinnert. Genaugenommen sind es jedoch keine Flammen, sondern göttliches Licht, welches erstmals in Vitam Aeternam in dieser Form so dargestellt wurde. Bei genauer Betrachtung fällt auf: Die Flammen oben und an den Seiten züngeln lebendig, während die Flammen unten starr als Reihe von Dreiecken aneinander gesetzt wurden. Dazwischen vermitteln die Tore, von denen hier alle zwölf zu sehen sind. In ihnen stehen Engelsfiguren. Mit Gottvater, der Taube (beide oben) und dem Christuslamm auf dem Zionsberg (unten) betont das Bild auch die Trinität. Dabei bezieht sich die Tiara nicht auf die Papstkrone, sondern auf die armenische Tiara, mit welcher weltlicher Herrscher im Altertum auftraten. Christus ist in dem Bild übrigens ein weiteres Mal dargestellt, als guter Hirte im Vordergrund rechts. Einzigartig in Kombination mit dem Himmlischen Jerusalem und verwurzelt in der armenischen Kunst sind die zwei Bänder mit geometrischen Mustern, welche sich oben und unten durch das Bild ziehen.

Diese exzellent erhaltene Arbeit in leuchtenden hellen Farben entstand in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Fol. 544 zeigt das Neuen Jerusalem, wobei vor allem die Farbgebung, etwa das geradezu kalte Türkis der Stadttore oder die hellen Rottöne der Flammen, dramatisierend wirkt. Es handelt sich um eine monochrome Malweise, bei der die Farbtöne sich nicht vermengen, sondern ein Gegenstand einer Farbe zugewiesen wird (Lamm = weiß, Flammen = rot, Hügel = grün, usw.). Die armenische Bibel konnte auf das Jahr 1645 datiert werden. Das Manuskript ist in New Julfa (im heutigen Iran) hergestellt worden, daher hat es auch den Namen New Julfa Bibel. An den Illustrationen beteiligt war der Künstler Hayràpet Djoughayetsi. Auftraggeber waren ein Zohrab und sein Sohn, die die Bibel 1661 dem Kloster St. Johannes in Jerewan vermachten. Heute befindet sich die Kostbarkeit im Besitz der Kunstsammlung des Patriarchen der Armenischen Kirche in Jerusalem (Nr. 1933). Ein ähnliches Kunstwerk, eine Ölmalerei, findet man ganz in der Nähe in der Armenisch-orthodoxen Kathedrale Sankt Jakobus (ebenfalls 17. Jahrhundert). Offenbar hatte die Jerusalemer Armenische Kirche an dem Thema damals ein besonderes Interesse.

Ein Gebetbuch von 1647, fol. 13v, zeigt einmal mehr die hohe Kunst der Kopisten. Variationen waren eigentlich nur bei der ornamentalen Rahmung und bei der Farbgestaltung erlaubt, die zeichnerischen Details sind minutiös nachgearbeitet, jede Flamme und jedes Haus entspricht den vorangegangenen Fassungen. Die Farbwahl hat sich diesmal mehr an der Natur ausgerichtet, die Wolken sind blau, die Mauern der Stadt grau, Flammen rot. Das Gebetsbuch entstand in Spahan (auch bekannt als Parthau) unter Beteiligung des Malers Hayràpet Djoughayetsi und befindet sich im Kunstmuseum Matenadaran (Signatur MS 389).

Eine letzte Fassung in einer armenischen Bibel dieser Traditionslinie entstand unmittelbar nach dem New Julfa Evangelium; Experten schätzen sie auf etwa 1670. Auch diese Pretiose stammt aus dem Kunstmuseum Matenadaran in Jerewan (Signatur MS 1928). Fol. 575r zeigt eine überraschende Ähnlichkeit zu den vorangegangenen Fassungen: Entweder hatte man eine figürliche Kopie vor sich, eine Art Mutterfassung in Form einer Handzeichnung, oder/und es waren die gleichen Miniaturisten an den Bibelarbeiten beteiligt. Die Stadt ist, sicher ungewollt, einige Grad schief nach rechts gerutscht. Vermutlich wurde der Druck so schnell vorgenommen, dass auf akkurate Ausrichtung der Platten keine Sorgfalt verwendet wurde.

Die Druckplatten haben sich in den wenigsten Fallen erhalten – das Metall war kostbar, nach Gebrauch wurden sie eingeschmolzen und neu gegossen. Erhalten hat sich eine Platte aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, 1666, die aus der Druckerei des armenischen Patriarchen stammt. Die Platte ist in der Mitte gesprungen und der linke Rand der Platte (der rechte Bildrand im Druck) ist abgeschlagen, dennoch kann man sagen, dass diese Platte ein tendenziell vertikales Bild erzeugte, im Vergleich zu den übrigen Drucken. Anders ist auch die Struktur der Stadtmauer (statt Quaderung eine Schraffur), neu sind die Engelsköpfe um das Haupt Gottes. Die Illustration, eine Kopie nach Christoffel van Sichem (1581-1658), diente zur Erläuterung des Bibeltextes der Oskan-Bibel, darauf hin deutet der Buchstabe „A“ und „B“ (seitenverkehrt auf der Platte rechts über der Stadtmauer, im Druck links über der Stadtmauer).
Bezalel Narkiss (Hrsg.): Armenian art treasures of Jerusalem, Massada 1979.
Patrick Donabédian: Les arts arméniens, Paris 1987.
Patrick Donabédian: Armenische Kunst, Wien 1988.
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