Das ukrainische Nationalmuseum von Lemberg (Lwiw) besitzt einige besonders schöne und bekannte Weltgerichtsdarstellungen der orthodoxen Kunst. Sie belegen die Vielfalt und den Reichtum in der Ikonenkunst der Ostkirche. In diesem Beispiel aus dem Ort Vovche oder Trushevych aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts haben sich verschiedene handwerkliche Traditionen und Richtungen zu einem einheitlichen Stil vereint, der eine harmonische und ausgewogene Ikone entstehen ließ; Ikonen-Experten bezeichnen den Stil als volkstümlich. Merkmal ist eine weiche Zeichnung der Figuren, eine klare Feldeinteilung der erzählerischen Motive und eine bräunlich-rötliche Grundfärbung.
Die Ikone hat die vier Ecken mit dem Thema Erlösung und Verdammnis besetzt. Unten links befindet sich das Paradies, dem gegenüber eine Höllendarstellung. Oben links ist der traditionelle Platz des Himmlischen Jerusalem, dem wiederum ein Hölle rechts gegenüber gesetzt ist. Das Himmlische Jerusalem zeigt lediglich ein einziges Gebäude mit drei sich verjüngenden, roten Kuppeln – vermutlich handelt es sich um eine Darstellung der Jerusalemer Auferstehungskirche (im Westen Grabeskirche genannt), wie man sich den Bau im 16. Jahrhundert vorstellte. Dieses markante Gebäude ist von einer hohen Mauer zangenförmig umschlossen und im Hintergrund mit einer auffälligen Mauerkrone ausgestattet. Vorne ist die Mauer geöffnet. Dort geleitet ein Engel rechts zwei menschliche Figuren (einen Mann und eine Frau, möglicherweise Adam und Eva oder Christus und Maria) rechts an die Pforte. Weitere Heilige sind zwar an verschiedenen weiteren Stellen dieser Ikone versammelt, vor allem, um Christus Pantokrator oben rechts anzubeten, aber nicht vor oder im Himmlischen Jerusalem.
Wojciech Kurpik: Ikona Sadu Ostatecznego z Muzeum Ziemi Przemyskiej, in: Rocznik Przemyski, 11, 1967, S. 229-241.
Claus Bernet: Pretiosen des Ostens. Ikonen, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 36).
Beitragsbild: Marta Fedak