Der St.-Kilians-Dom zu Würzburg besitzt einen Kreuzgang aus dem Spätmittelalter. Auf der Westseite dieses Domkreuzgangs findet man einen schmalen Durchgang zum Hauptschiff des Doms, der nach 1945 mit einer modernen schmiedeeisernen Tür versehen wurde. Über dieser Tür hat sich zur Dominnenseite hin ein spätgotischer Tympanon erhalten.
Da in einem Kreuzgang früher auch (geistliches) Gericht gehalten wurde, schien es passend, hier eine Gerichtsszene zur Mahnung für Kläger, Beklagte und Richter anzubringen. Das Relief aus Mainsandstein zeigt unten links eine Gruppe Geretteter, darunter einen Bischof, einen Adeligen und einen Bauern, die man alle anhand ihrer Bekleidung und Kopfbedeckung identifizieren kann. Sie stehen vor einem kirchenähnlichen Bau, welcher links pars pro toto das Neue Jerusalem vertritt. Es dominiert eine schmale, hohe Pforte, welche genauso hoch wie die Figuren ist, während der Baukörper nach links hin durch sechs zweistöckige Fenster strukturiert ist. Es sind keine Biforienfenster, sondern schlichte Öffnungen, wie überhaupt diese Darstellung Jerusalems an nordeuropäische Malereien als Backsteinkirchen erinnert, vergleicht man diese Darstellung mit solchen in Taivassalo und Letala oder Haderslev.
Vor dem Bau öffnet gerade Petrus mit einem Schlüssel die Pforte. Während die geretteten Personen alle bekleidet sind, wurden die Verdammten alle nackt dargestellt, gefangen durch eine Kette, die vom Teufel zusammengehalten wird. Während die Geretteten alles Männer sind, findet man unter den Verdammten auch Frauen.
Die Arbeit ähnelt übrigens dem Westportal der Würzburger Marienkapelle (ebenfalls ausgeführt um 1420) und wird vermutlich von den gleichen Bildhauern oder zumindest von der gleichen lokalen Bildhauerschule ausgeführt worden sein. Während das Steinrelief der Marienkapelle etwas detailfreudiger und ornamentierter ausgestaltet ist, sind die Formen im Tympanon des Würzburger Doms schlichter und klar. Bei dem Beispiel aus dem Dom sind die Elemente nur wenige Zentimeter herausgearbeitet, bei der Marienkapelle dagegen stärker, fast als Halbrelief.
Hanswernfried Muth: Der Dom zu Würzburg, München 1990 (10).
Helmut Schulze: Der Dom zu Würzburg, Würzburg 1991.
Johannes Sander, Wolfgang Weiß (Hrsg.): Der Würzburger Dom im Mittelalter. Geschichte und Gestalt, Würzburg 2017.