MS Latin 889 aus der Französischen Nationalbibliothek (Paris) ist die lateinischsprachige Handschrift „Lectionarium missae s. petri montis majoris“ mit einer ungewöhnlichen Repräsentation des Himmlischen Jerusalem. Drei Fantasiesäulen werden auf fol. 5v von drei Bögen überspannt, in welchem das Agnus Dei erscheint. Links misst ein Engel die Architektur, bzw. die Größe der Stadt aus. Die Bogenführung, aber vor allem die leuchtenden Farben, verweisen auf einen mozarabischen Einfluss, möglicherweise nicht direkt, sondern über die weit verbreiteten Beatus-Apokalypsen. Das würde mit erklären, weshalb apokalyptische Thematik hier überhaupt dargestellt wurde.
Ein „Lectionarium missae“ oder „Epistolae et Evangelia totius anni“ ist ein Messbuch und damit das wichtigste liturgische Buch der mittelalterlichen Kirche. Es enthält eine Ordnung, wie eine römisch-katholische Messe korrekt durchzuführen ist, und bestimmt die Lieder, die dabei zu singen sind. Darstellungen des Himmlischen Jerusalem in dieser Literaturgattung sind eine große Ausnahme, und auch hier handelt es sich um eine kaum benutzte Prachtausgabe, die für die zahlreichen, mehrmals täglich zu haltenden Messen viel zu kostbar gewesen wäre.
Die Handschrift im Stil der späten Ottonik entstand um 1100 in Montmajour im französischen Département Bouches-du-Rhône, einige Kilometer nordöstlich von Arles, im dortigen Benediktinerkloster Saint-Pierre. Aufgrund des 1030 erhaltenen „Pardon de Montmajour“, das zur Erteilung eines Ablasses berechtigte, wurde die kleine Abtei Saint-Pierre zu einer vielbesuchten Pilgerstätte. Die Einnahmen stiegen und ermöglichten eine kostbare Kunstsammlung, wovon diese Handschrift ein Teil gewesen war.
Jean-Paul Laroche (Hrsg.): L’âge de l’enluminure. L’Apocalypse de Saint-Sever, Orléans (1960).
La France romane au temps des premiers capetiens, 987-1152: Paris, Musee du Louvre, 10 mars – 6 juin 2005, Paris 2005.