Diese Zeichnung mit dem Titel „Jérusalem céleste“ oder auch „La chapelle au Christ couronne“ stammt von dem Elsässer Charles Filiger (1863-1928), sie ist auch rechts unten mit C. F. signiert. Der Künstler arbeitete daran von 1903 bis 1905. Filiger stand Gauguin und seinem Kreis Pont-Aven nahe. Stark war seine Kunst vom Mystizismus und vom Katholizismus geprägt, unter archaischem und byzantinistischem Einfluss.
Sein 27 x 19 Zentimeter große Kunstwerk wird heute im Louvre aufbewahrt (Inventarnummer AM1750D). Das farbige Aquarell in Pastelltönen mit teilweise Bleistiftzeichnungen vereint in einzigartiger Weise Strömungen der naiven Malerei mit dem Art déco und dem Symbolismus und ist damit ein Zeitdokument, wie kreativ sich verschiedene Stileinflüsse zu Neuem vereinen können. Das Werk zeigt im unteren Teil ein Himmlisches Jerusalem, das aus einfachen geometrischen Formen aufgebaut ist. Links und rechts findet man gedrungene rotfarbene Rundtürme, welche, traut man der Aufnahme, oben eine schwarze Öffnung zeigen. Zwischen den Türmen zieht sich eine hohe lilafarbene Mauer mit einer linearen gestrichelten Rasterung. Darüber steht ein gelbes Lichtdreieck, ein traditionelles Trinitätssymbol. Ein dritter, blauer Turm steht darin über einem violetten Haus mit Satteldach mit drei rechteckigen Fenstern, wobei es sich möglicherweise um ein sakrales Gebäude handelt. Darunter sind sieben schwarze Tore der Stadt gesetzt, allesamt schwarz, von einem Goldton umgeben, der dunkler als der des Dreiecks scheint. Die seltene Aufnahme lässt sogar weiße Punktierungen erkennen, die von zwei Schenkeln des Dreiecks ausgehen: Hier hat Filiger die Lichtstrahlen angedeutet, die aus der Stadt heraus leuchten.
Einzigartig ist der breite Regenbogen über der Stadt, der durch zwei große Tondi unterbrochen ist. Eines (links) ist mit einem Christusportrait samt Dornenkrone ausgefüllt, das andere (rechts) betont mit einem Kelch über einem Weinblatt die Eucharistie. Dazwischen hat der Künstler vegetabile Ornamente eingefügt, die noch den Jugendstil nachklingen lassen. Über dem Regenbogen deuten Sterne das violette Firmament an. Im oberen Teil begrenzt zuletzt eine Schmuckbordüre Jerusalem. Doch das Gemälde geht weiter: Darüber erhebt sich ein Dreieck – eine Wiederholung des ersten Dreiecks in der Bildmitte, doch diesmal niedriger. Es entsteht ein Trompe l’oeil, als würde das Gemälde an einer Schnur an der Wand befestigt sein. Dieses wichtige Detail, das oft vergessen oder nicht gezeigt wird, deutet auch die in der Renaissance beliebte Darstellungsweise an, die Stadt an einem Faden hängend zu zeigen (Beispielsweise ein Emblem zu einem Epigramm von Théodore de Bèzes von 1580).
Charles Chasse: The Nabis and their period, London 1969.
Mira Jacob: Charles Filiger, 1863-1928. Présentation et analyse de l’œuvre, Strasbourg 1990.
C. Sylvia Weber: Gauguin und die Schule von Pont-Aven. Museum Würth, Künzelsau 1997.
Anna Mazzanti: Gauguin e la scuola di Pont-Aven. Vincent Van Gogh, Maxime Maufra, Charles Laval, Paul Serusier, Charles Filiger, Emile Bernard, Maurice Denis, Firenze 2008 (I grandi maestri dell’arte, 34).