Gegen Ende des 17. Jahrhunderts befand sich das Christentum infolge der Aufklärung, der Religionsstreitereien und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in einer schweren Krise, die sich natürlich auch auf die Kunst ersetzt. Kirchen wurden durch antike Tempelbauten ausgetauscht, frommes Leben wurde jetzt weniger durch die Darstellung von Heiligen zum Ausdruck gebracht, sondern vermehrt durch Tugendallegorien. Eine solche Allegorie entstand im Jahr 1684 in Paris bei Pierre Landry (geb. vor 1631 – 1701), einem französischen Kupferstecher und Verleger. Sie hat den Titel „La Reine eleusée au ciel par les vertues“ also etwa „Die Königin, von den Tugenden in den Himmel erhoben“. Ganz wurde allerdings bei dem Werk von 1684 doch nicht auf Christliches verzichtet: Oben links, wenige Millimeter klein, erscheint unter einem menschlichen Auge, welches aber das Auge Gottes sein soll, das Himmlische Jerusalem. Klar ist es bezeichnet als „La Celeste Sion“. Landry präsentiert es als monströsen Rundtempel in der Tradition utopischer Renaissancebauten, ähnlich wie bei der Maria Immaculata von Adriaen Isenbrant oder dem Jüngsten Gericht von Jean Cousin. Der Bau stellt die Grabeskirche dar, doch bereits die Zeitgenossen sahen in ihm das Pantheon. Die gewaltige Kuppel lastet auf einem Tambour, welcher seinerseits wieder auf einem runden Sockel thront. Die Außenmauer der Stadt ist in regelmäßigen Abständen durch klassizistische Portale strukturiert. Die hohe Mauer, die durch Strebepfeiler zusätzlich verstärkt wird, macht einen wehrhaften Eindruck. Hinter ihr sind von den Wohnbauten allein die Dächer zu sehen. Christlich-biblische Merkmale der Gottesstadt, wie lateinische Kreuze, das Lamm Gottes, Christus, männliche oder weibliche Heilige sucht man hier vergebens.
Charles le Blanc: Manuel de l’amateur d’estampes, Paris 1856.
Henri Herluison: Landry (Pierre), peintre, graveur et sculpteur, in: Actes d’état-civil d’artistes français, peintres, graveurs, architectes, etc., extraits des registres de l’Hôtel-de-Ville de Paris, détruits dans l’incendie du 24 mai 1871, Paris 1873, S. 206-208.